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Eiskalte Versuchung
Eine Nacht im Iglu auf dem 2662 Meter hohen Weissfluhjoch bei Davos
Irgendwann am späten Abend, als weder heißer Tee noch dicke Socken mehr ausreichten, die kalten Füße zu wärmen, zieht Olli die Notbremse und setzt sich für ein paar Minuten samt Pullover und Skihose in die Sauna. Erst danach kann er den makellosen Sternenhimmel wirklich bewundern, der sich traumhaft schön über die Bergwelt Graubündens ausbreitet. Hier oben auf dem 2662 Meter hohen Weissfluhjoch, tausend Meter über Davos, stört kein Zwielicht seinen glanzvollen Auftritt.
Olli und mit ihm 20 andere könnten ihr Millionen-Sterne-Hotel, in dem sie die Nacht verbringen wollen, in vollen Zügen genießen – wenn es nur nicht so verdammt kalt wäre. Denn in dieser Nacht werden sie alle unter einem Dach aus Schnee und Eis im Igludorf schlafen. Jeder von ihnen hofft, dass die Schlafsäcke tatsächlich so warm halten, wie es Sybille Beck und Armin Fritzsche versprechen, die hier als »Mädchen« für alles dafür sorgen, dass sich die Gäste wohlfühlen.
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Dazu gehört auch, ihnen die Geschichte der Igludörfer zu erzählen – außer dem in Davos gibt es sechs weitere in der Schweiz, in Deutschland und in Andorra. Erfunden hat's – wer sonst? – ein Schweizer, Adrian Günter, ein Skilehrer aus Scuol. 1996 grub er sich hoch oben auf einem Berg über Scuol eine Schneehöhle und verbrachte darin die Nacht in einem Expeditionsschlafsack, um sicher zu gehen, dass ihm niemand morgens die erste Spur auf der Piste streitig macht. Berauscht von dem Erlebnis, erzählte er davon Freunden, die diese Erfahrung mit ihm teilen wollten. Gemeinsam bauten sie Iglus, und schon bald kamen Neugierige, die gern bereit waren, für so ein Bett im Schnee zu zahlen. So entstand die Idee von Igludörfern für Touristen. Wurden sie anfangs noch klassisch aus aufeinandergeschichteten Schneeblöcken errichtet, rationalisierte Günter die Baumethode schon bald: Irgendwann im Dezember, wenn es richtig knackekalt in den Bergen ist, werden riesige Ballons im Schnee verankert und mittels Schneekanonen dick beschneit. Nach einer Nacht, wenn alles fest gefroren ist, werden die Ballons herausgezogen. Jetzt ist der Rohbau fertig für den Innenausbau. Nach gut 2500 Stunden Arbeitszeit ist das Hotel komplett eingerichtet. Wie die Hülle, besteht auch das Mobiliar völlig aus Schnee und Eis. Dicke Isomatten und Felle auf Bänken und Betten sorgen für weiche, einigermaßen trockene und wärmende Polsterung. Es gibt eine Küche, in der abends für alle Gäste ein Käsefondue zubereitet wird. Eis für den Whiskey an der Bar kann man sich schenken, es reicht, den Becher auf der Theke abzustellen. Für Spaß und Wärme sorgen ein 39 Grad heißer Whirlpool unterm Sternenhimmel und eine Sauna, die in ihrem früheren Leben ein Bauwagen war.
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Neben einem Restaurant und der Bar gehören mehrere Schlafiglus für jeweils zwei bis sechs Gäste zum Ensemble. Ganz besonders komfortabel – allerdings auch mit 500 Franken pro Person nicht ganz preiswert – hat's, wer die Honeymoon-Suite bucht. Trotz Zimmertemperaturen um den Gefrierpunkt, wird Kuscheln zu zweit hier garantiert eine heiße Sache, die man nie mehr vergisst. Und bestimmt nicht nur deshalb, weil die Turteltäubchen einen eigenen Whirlpool in ihrem Eispalast haben – und einen Butler. Der serviert Champagner und was man sonst noch so für eine Liebesnacht gebrauchen kann. Ansonsten aber ist er absolut diskret und hüllt sich in eisiges Schweigen.
Der Butler, wie viele andere märchenhafte Gestalten überall im Davoser Igludorf, wurden von vier Künstlern aus den USA, Holland, Lettland und Finnland gestaltet und sind wirklich eine Augenweide. Jedes Jahr steht das Dorf unter einem anderen Motto, diesmal sind es die Märchen aus 1001 Nacht.
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Kurz vor Mitternacht haben sich auch die letzten Sternengucker in ihre Schlafsäcke verkrochen, nachdem sie zuvor alles im Fußteil verstaut haben, was ihnen lieb und teuer ist. Nicht, weil sie Angst haben müssen, dass es über Nacht »Beine bekommt«, sondern weil es ansonsten passieren kann, dass Jacke, Hose oder Fotoapparat innerhalb kürzester Zeit eine feste Verbindung mit dem Iglu eingehen.
Die Befürchtung, im Bett zu frieren, erweist sich ganz schnell als unbegründet. Im Gegenteil, die weichen Daunen wärmen derartig, dass die ersten schon bald anfangen sich Hülle für Hülle aus ihrer Zwiebelkleidung zu pellen. Nur das Gesicht bleibt kalt, da hilft auch nicht, sich die Mütze tief in die Stirn zu ziehen. Trotz der Müdigkeit nach einem ausgefüllten Skitag will sich der Schlaf nicht einstellen, Schuld ist aber weniger die Kälte, als vielmehr die ungewohnt dünne Luft auf fast 3000 Meter Höhe. Die Nacht zieht sich hin, und die meisten sind froh, als Sybille am nächsten Morgen mit einem Tablett voller heißer Teebecher zum Wecken kommt.
Als wir vor das Iglu treten, begrüßt uns ein strahlend schöner Tag – die gerade hinter den Bergen aufgehende Sonne taucht die Gipfel in ein leuchtendes Rot, der Schnee glitzert, als ob jemand über Nacht Millionen winzige Brillanten darüber ausgeschüttet hat, und über allem hängt ein blauer Himmel, der einen idealen Tag auf den Pisten verheißt. Einige können es kaum abwarten, die Bretter anzuschnallen und die erste Spur in den noch jungfräulichen Schnee zu ziehen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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