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Das Erbe von Marcos Veron

Die indigenen Guaraní-Kaiowá in Brasilien kämpfen um ihr angestammtes Territorium

  • Hannelore Gilsenbach
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Mörder eines Kaziken aus Mato Grosso do Sul sind verurteilt worden. Ende Februar nach acht Jahren. Das Verbrechen an Marcos Veron war eines unter vielen, die jährlich an Indigenen verübt werden. Die meisten bleiben ungesühnt.
Julia Guaraní Kaiowá – die Witwe des Kaziken Marcos Veron – beim Gebet in Takuára
Julia Guaraní Kaiowá – die Witwe des Kaziken Marcos Veron – beim Gebet in Takuára

Marcos Veron war 72 Jahre alt, ein angesehenes Oberhaupt der »Guaraní-Kaiowá«, der »Waldleute«. Dort, wo ihre Vorfahren lebten, gibt es keinen Wald mehr. Das Land gehört brasilianischen Farmern und Viehzüchtern. Den Indígenas wurden anderswo Reservate zugeteilt. Immer wieder brechen Kaiowá auf, kehren zurück zum Land ihrer Ahnen. Auch Marcos Veron führte seine Leute heim – nach Takuára. Er bezahlte mit dem Leben. Bewaffnete Männer schlugen ihn vor den Augen seiner Angehörigen zusammen. Er überlebte nur wenige Stunden. Es war der 13. Januar 2003.

Als die landwirtschaftliche Entwicklung in den 50er Jahren Mato Grosso do Sul erreichte, sagte ein alter Guaraní-Kaiowá voraus, was ihnen bevorstand: »Die Weißen sind dabei, uns umzubringen. Sie zerstören unsere Häuser, unsere Fischgründe, unsere Ernten. Und wenn irgendwann aller Wald verschwunden sein wird, dann ist unser Volk am Ende.«

Auf dem 350 000 Quadratkilometer großen Siedlungsgebiet der Indígenas sieht man heute Sojafelder und Rinderweiden. Und immer mehr Zuckerrohr zur Biotreibstoffgewinnung. Dort finden die Kaiowá saisonweise Arbeit – in der Ernte und in den Destillerien, für Niedriglöhne, unter harten Bedingungen. Kehren sie zurück – sobald der »fazendeiro« ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigt –, bringen sie Lebensmittel aber auch Alkohol, Krankheiten, oft auch Gewalt in ihre Dörfer. Ein autarkes Leben ist in den Reservaten nicht möglich. Für Äcker oder Gärten fehlt der Platz. Hütten drängen sich dicht an dicht. Das Dourados-Reservat zum Beispiel – benannt nach der nahen »Goldstadt« – misst 3000 Hektar für 12 000 Bewohner. Viele Kaiowá kampieren im Nirgendwo – unter Plastikplanen am Rand der Bundesstraßen. Hunger, Diskriminierung, Polizeiwillkür sind Alltag.

Die Guaraní-Kaiowá fühlen sich untrennbar mit dem Land verbunden, das man ihnen genommen hat. Viele sind ohne Hoffnung. Seit 1986 haben sich über 500 umgebracht, darunter viele Jugendliche, sogar Kinder.

Deborah Duprat, stellvertretende Generalstaatsanwältin Brasiliens, bezeichnete das Dourados-Reservat als »möglicherweise größte Tragödie für indigene Völker weltweit«. Bischof Erwin Kräutler sprach in seiner Dankesrede für den Alternativen Nobelpreis am 6. Dezember 2010 vom »grausamen Genozid« an den Guaraní, der sich »vor den Augen der Regierung abspielt«.

Das Verbrechen an Marcos Veron erregte mehr Aufsehen als üblich, denn die meisten an Indigenen verübten Morde bleiben ungeahndet. Veron jedoch war bekannt, sogar international. Im November 2000 hatte Survival International ihn zu einer Europareise eingeladen. Veron hatte berichtet, wie 1953 Rinderzüchter das Gebiet von Takuára gewaltsam besetzt und den Wald gerodet hatten – für die »Fazenda Brasilia do Sul«. Er berichtete über seine Versuche, ein kleines Stück Land zurückzubekommen. Doch die Behörden ignorierten die Bitten, jahrzehntelang. Auf eigenes Risiko war Verons Gemeinschaft 1997 nach Takuára zurückgekehrt, hatte Häuser gebaut, Gärten angelegt … Jetzt bat der Kazike um Hilfe aus Europa – für die Demarkation einer »terra indígena takuára«, eines indigenen Territoriums.

»Retomadas« (Zurücknahmen) lautet das brasilianische Wort für solche Eigenmächtigkeiten verzweifelter Indianer. Sie kehren zurück, selbst wenn ihr Land inzwischen kahl geholzt ist – die Ahnengeister lassen sich nicht roden. Doch Gesetze und Grundbücher stehen dagegen. »Retomadas« enden in der Regel mit Polizeigewalt. Nicht selten sterben indigene Anführer durch gedungene Killer.

2001 wurde auch Takuára zwangsgeräumt. Der Fazenda-Besitzer hatte geklagt. 2003, nach einem zweiten Versuch der Rückkehr, prügelten sie Marcos Veron zu Tode. Die des Mordes Angeklagten heißen C. Roberto dos Santos, Estevão Romero und J. Cristaldo Insabralde. Sie arbeiten angeblich auf der Fazenda Brasilia do Sul. Das am 28. Februar ergangene Urteil lautet zwölf Jahre Haft – wegen »Entführung, Folter, krimineller Verschwörung«. Der Besitzer der Fazenda, J. Honorio da Silva, blieb unbehelligt. Ein Berufungsverfahren läuft.

Survival International hat den Kaiowá über viele Jahre geholfen – auch jetzt, als es darum ging, am Gerichtsprozess in São Paulo teilzunehmen. Auf der Internetseite der Menschenrechtsorganisation finden sich Videos und Berichte über die Notlage der Guaraní und Aufrufe zur Unterstützung. 2008 entstand durch Vermittlung von Survival ein berührender Film, in dem Guaraní-Kaiowá ihr Leben spielen: »Birdwatchers – Das Land der roten Menschen«. Regisseur Marco Bechis verwob darin auch den Mord am Kaziken.

Im Glauben der Guaraní-Indios hält sich seit Jahrhunderten die Weissagung von »Yvy-Mara Ey« – dem »Land jenseits des Bösen«. Viele haben danach gesucht, hunderte Kilometer weit. Die 200 Kaiowá haben Marcos Veron in Takuára beerdigt. Das verheißene Land werden sie in Brasilien nirgends finden. Aber vielleicht ja die Gewissheit, dass sie bei seinem Grab bleiben dürfen.

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www.survivalinternational.de/nachrichten/indigene/guarani

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