»Roter Bastion« droht Debakel

Wahlen zur Volksvertretung im indischen Unionsstaat Westbengalen

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 3 Min.
Im indischen Unionsstaat Westbengalen finden vom 18. April bis zum 10. Mai in sechs Phasen Wahlen zur Volksvertretung (Assembly) statt. Das politische Ereignis steht schon jetzt im Blickpunkt der Öffentlichkeit, weil die seit 1977 regierende Linksfront vor der größten Herausforderung in diesen 34 Jahren steht.

Die Prognosen verheißen nichts Gutes für die Allianz aus KPI (Marxistisch), KPI, Vorwärtsblock, Revolutionärer Sozialistischer Partei und sechs kleineren Parteien. Der Tenor ist eindeutig: Die »rote Herrschaft« werde im Frühjahr ihrem Ende entgegengehen. Die scharf oppositionelle Partei Trinamool Congress (TMC) und die Kongresspartei, die bereits in der Vereinten Progressiven Allianz in Delhi zusammenarbeiten, schmieden auch in Westbengalen ein Bündnis gegen die Linken. Kommandos der militanten und illegalen KPI (Maoistisch) verübten und verüben zudem in mindestens drei Distrikten des Unionsstaates Anschläge und ermorden gezielt linke Aktivisten. Zudem kollaborieren die Maoisten ziemlich unverhohlen mit dem TMC und genießen das Wohlwollen ihrer charismatischen Führerin, Mamata Banerjee, die zugleich Eisenbahnministerin Indiens ist.

Doch hat die Linksfront vor allem im Zuge ihrer Industrialisierungspolitik in den letzten Jahren auch schwere Fehler gemacht, die einen ungeahnten Imageverlust in der Wählerschaft zur Folge hatten. Dipankar Bhattacharya, Generalsekretär der KPI (ML-Liberation), die nicht an der Linksfront in Kolkata beteiligt ist, verwies im ND-Gespräch darauf, dass die Wähler bei den letzten Assembly-Wahlen im April/Mai 2006 der Linksfront noch eine Mehrheit von 80 Prozent gaben. Aber seitdem büße diese rapide an Boden ein. Das zeigten die Wahlen zu den Gemeinderäten (Panchayats) im Jahre 2008, zum Parlament (Lok Sabha) 2009 sowie zu den Stadtverordnetenversammlungen im Jahre 2010.

Die Regierungskoalition in Indiens »roter Bastion« versucht mit allen Kräften, das drohende Debakel zu verhindern. Biman Bose, der Vorsitzende der Linksfront, gab dieser Tage die Kandidatenliste des Bündnisses bekannt. Von den 292 Bewerbern um die Assembly-Sitze sind 149 Neulinge. Mehr als ein Dutzend Minister Westbengalens erhält keine Chance zur Wiederwahl. Bose erläuterte das so: »Unsere Formel ist Erneuerung. Wir brauchen neue junge Gesichter. Viele von ihnen sind unter 30 Jahre alt.« Nicht nur das, stärkere Berücksichtigung als in der Vergangenheit fanden auch Frauen, Muslime und kastenlose Dalits. Indirekt will das Bündnis damit auf den vom TMC strapazierten Ruf nach Wandel reagieren. Ob sich das in Stimmen niederschlagen wird, bleibt aber abzuwarten.

TMC-Generalsekretär Partha Chatterjee jedenfalls wertete die linke Kandidatenliste als »moralischen Sieg« für sich, denn der plakative Wechsel erfolge aus Angst vor seiner Partei. Fakt ist, dass diese auf einer Popularitätswelle reitet und alle Register für einen überzeugenden Wahlsieg zieht. So heuerte sie Sabeer Bhati an, den Hotmail-»Erfinder«, der das auch in Westbengalen wie überall im Land weit verbreitete Handy in den Dienst des TMC-Wahlkampfes stellen soll. Besonders das Verhältnis zur Bevölkerung in den ländlichen Gebieten, die in der Vergangenheit recht verlässlich für die Linksfront stimmte, soll so gestärkt werden.

Das Wahlmanifest der Linksfront ist noch nicht veröffentlicht. Doch aus ihren Kreisen kommen bereits inoffiziell Hinweise auf die Schwerpunkte. Einer davon wird die Fortsetzung der Bodenreform sein, die 1977 begann und in deren Verlauf Hunderttausende Landlose und Landarbeiter ihre eigene Parzelle erhielten. Sie konnten sich damit ihre Existenz sichern und bildeten das Fundament für fast dreieinhalb Jahrzehnte linke Regierung in Westbengalen. Der Bodenreformprozess soll nun vollendet werden.

Einen anderen Schwerpunkt bildet die diskreditierte Industrialisierungspolitik. Dazu heißt es aus dem Hauptquartier der Linksfront: »Ohne Industrialisierung kann es keine Entwicklung geben. Aber wir müssen dabei sehr behutsam vorgehen. Wir müssen die Menschen von der Notwendigkeit erst überzeugen.« Genau das war bei den Großprojekten der Auto- und der chemischen Industrie in Singhur und Nandigram versäumt und vom TMC gnadenlos zur eigenen Profilierung ausgenutzt worden. Die blutigen, teils tödlichen Auseinandersetzungen brachten die Regierung in Kolkata in Misskredit und wendeten in den dann folgenden Wahlen das Blatt zu Gunsten des Trinamool Congress.

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