Utopie – und Tat

18. März 1871: Pariser Kommune

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.
Claudine Rey, Präsidentin der Vereinigung der Freunde der Kommune. Morgen auf der Geschichtsseite: »Die Himmeslsstürmer von der Seine«
Claudine Rey, Präsidentin der Vereinigung der Freunde der Kommune. Morgen auf der Geschichtsseite: »Die Himmeslsstürmer von der Seine«

Auf der »Butte aux Cailles« – dem Wachtelhügel – im Süden der französischen Hauptstadt wurden in der »Blutwoche« Ende Mai 1871 einige der letzten Barrikaden der Pariser Kommune erbittert gegen die aus Versailles heranrückenden Truppen der bürgerlichen Regierung verteidigt. Daran erinnert jetzt hier der Platz der Pariser Kommune. »Es hat aber viele Jahre gedauert, bis wir erreichen konnten, dass in Paris ein Platz nach der Kommune benannt wird, die in den Geschichtsbüchern bestenfalls mit wenigen Worten abgehandelt wird und die man nur zu oft als ›Aufruhr von Mördern und Brandstiftern‹ diffamiert«, meint Claudine Rey, die Präsidentin der Vereinigung der Freunde der Pariser Kommune, die ganz in der Nähe ihren Sitz hat.

Zu dem Platz verhalf letztlich der rechte Bürgermeister des 13. Arrondissements, Jacques Toubon, der dann in seiner Rede bei der Umbenennung des Platzes im Jahre 2000 sogar erklärte, er sei »froh, dass das Andenken an die Kommunarden jetzt hier geehrt wird«. Dagegen hat bei dieser Gelegenheit sein Parteifreund Jean Tiberi, der seinerzeitige Bürgermeister von Paris, eine Lobeshymne auf Adolphe Thiers angestimmt. Auf diese Provokation reagierten die Anwesenden mit einem Pfeifkonzert, schließlich war Thiers 1871 Chef der vor dem Volk nach Versailles ausgewichenen Regierung und Befehlshaber der blutigen Niederschlagung der Kommune.

»An der Kommune scheiden sich noch heute die Geister, und die Vorurteile sitzen tief«, meint Claudine Rey. So sei es beispielsweise extrem schwierig, etwas über die Aktivitäten der Freunde der Kommune in die Medien zu bringen, selbst jetzt zum 140. Jahrestag, da es sehr viele Aktvitäten gibt. Das beginnt am heutigen Freitag mit einem Fest auf dem Platz vor dem Pariser Rathaus und setzt sich fort mit Ausstellungen, Vorträgen und anderen Veranstaltungen.

Dazu gehört vor allem eine große Ausstellung im ehemaligen Franziskaner-Kloster in Paris, das heute als Kulturzentrum dient, und eine Vortragsreihe im städischen Museum Petit Palais an den Champs Elysées. »Dabei ist die Geschichtskommission der Stadt Paris unser Partner«, kann Frau Rey stolz berichten. Doch dafür müsse man schon ein gewisses Gewicht auf die Waage bringen. »Immerhin sind wir mit unserem Gründungsjahr 1882 die älteste Organisation der französischen Arbeiterbewegung.« Gegründet wurde sie zunächst als »Kameradschaft« der Kommunarden, die nach der Amnestie von 1880 aus der Verbannung oder der Emigration zurückkehrten. In dem Maße, wie die alten Kommunarden starben, nahm im Verein die Zahl der Freunde der Kommune zu, die ihr Vermächtnis lebendig halten wollten.

Der letzte Kommunarde war Adrien Lejeune, der 1942 im Alter von 94 Jahren in der Sowjetunion starb, wo er die späten Jahre gelebt hatte. »Heute hat die Vereinigung der Freunde der Pariser Kommune rund 2000 Einzelmitglieder und 50 Kollektivmitglieder, zumeist andere Geschichts- und Kulturvereine oder Betriebsräte«, erläutert die Präsidentin. »Wir befassen uns mit der Geschichte, aber wir erinnern auch daran, was von den Zielen und Forderungen der Kommune nach wie vor aktuell und nicht erfüllt ist.«

Damit macht man sich allerdings nicht nur Freunde, vor allem bei der gegenwärtigen Regierung. »Das betrifft beispielsweise die Forderungen, Exmittierungen von Familien wegen Mietschulden zu verbieten und leerstehende Wohnungen zu requirieren. Wir erinnern auch daran, dass Leo Frankel, der Arbeitsminister der Kommune, Ungar war und wie viele Ausländer in jener Zeit keine gültigen Papiere für Frankreich hatte. Am meisten stört es aber, wenn wir an die hohen demokratischen Standards der Kommune erinnern, die dem Volk tatsächlich Stimme und Einfluss gegeben hat. Hier konnten die Bürger ihre gewählten Abgeordneten kontrollieren. Die mussten Rechenschaft ablegen und konnten abberufen werden, wenn sie ihren Wählerauftrag nicht erfüllten.«

Höhepunkt des Jahres für die Freunde der Kommune ist immer der 28. Mai. An diesem Tag wurden 1871 der letzte Widerstand der Kommune blutig niedergeschlagen und ihre letzten Kämpfer auf dem Friedhof Père Lachaise zusammengetrieben. Hunderte wurden an der Friedhofsmauer erschossen und an Ort und Stelle in einem Massengrab verscharrt. 1908 wurde an dieser »Mauer der Föderierten« eine Gedenktafel enthüllt, und seitdem findet jedes Jahr am 28. Mai ein Marsch zu dieser Mauer statt. »An diesem Tag verlesen wir dort einen Aufruf zur Verwirklichung der Ideen der Kommune, den alle Parteien und Organisationen mitunterzeichnen können, die sich dem Erbe der Kommune verbunden fühlen und die an diesem Marsch mit eigenen Abordnungen teilnehmen«, erzählt Claudine Rey. »In den letzten Jahren haben immer mehr als 2000 Menschen an dem Marsch teilgenommen und rund 60 Parteien und Organisationen haben den Appell unterzeichnet. Das macht die Vielfalt der Kräfte deutlich, wie sie auch damals für die Kommune charakteristisch war.«

Für den Historiker Roger Martelli war die Pariser Kommune vor allem »eine revolutionäre Volksbewegung von unten, die erstmals das Volk auf die politische Bühne gebracht hat«.

»Das war im März 1871 eine spektakuläre Art der Pariser, ›Nein‹ zu sagen«, meint Martelli, »und ein geschichtlicher Meilenstein der Entwicklung der Demokratie und des sozialen Fortschritts.« Hier hatten nicht Berufpolitiker die Macht an sich gerissen, sondern jeder Bürger hatte Macht – und erstmals auch die Frauen. Vieles von dem, was gefordert wurde und was man seinerzeit angefangen hat umzusetzen, ist in folgenden Jahrzehnten nach und nach verwirklicht worden, von der Sozialversicherung und der kostenlosen öffentlichen Schule für Jungen wie Mädchen über die Trennung von Kirche und Staat oder die kommunale Selbstverwaltung bis hin zur Arbeitsvermittlung als Öffentlicher Dienst und nicht als Geschäft.

»Die Kommune hatte eine utopische Vision, sie hat den Weg gewiesen und die ersten Schritte gemacht«, meint Roger Martelli. »Es war der Traum, dass in einer von Geld, Profit und Machtgier bestimmten Gesellschaft, wo niemand wirklich frei ist, die Emanzipation der Arbeiter, der einfachen Bürger, der Frauen, der Ausländer möglich ist. Wenn man nicht von der Möglichkeit träumt, die Realitäten ändern zu können, wird man sie auch nie ändern.«

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