Im Zeichen des Kruzifixes
Urteil für Europa: Der Gekreuzigte darf in Klassenzimmern hängen
Egal, ob die Kleinen Atheisten, Buddhisten, Juden, Muslime oder eben Christen sind oder werden wollen: Europas Schulkinder werden unter dem Kruzifix unterrichtet, wenn es das Schulgesetz des jeweiligen Staates oder Landes so vorsieht. Andersgläubige Eltern können sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht darauf berufen, dass dies ihre Religionsfreiheit einschränke. Kruzifixe in staatlichen Schulen gehörten zum Bemessungsspielraum des italienischen Staates, hieß es in dem Urteil.
Geklagt hatte im Jahr 2002 die italienische Atheistin Soile Lautsi, deren zwei Söhne eine staatliche Schule in Abano Terme besuchten – mit Kruzifixen in allen Klassenzimmern. Während Lautsi in den unteren Instanzen erfolglos war, hatte ihr vor zwei Jahren die kleine Kammer des EGMR recht gegeben und in den christlichen Symbolen einen Verstoß gegen die Grundrechte auf Religions- und Gewissensfreiheit sowie Ausbildung gesehen. Wüste Kritik bis in linke Kreise Italiens war die Folge, die Klägerin selbst wurde verbal angegriffen und bedroht. Die italienische Regierung ging in Revision, unterstützt von weiteren Staaten, EU-Abgeordneten und Verbänden. Man argumentierte, das Kreuz sei in dem katholisch geprägten Land ein »volkstümliches Symbol«.
In Deutschland dürften nun vor allem christdemokratische und christsoziale Kreise frohlocken. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 1995 das »Lernen unter dem Kreuz« mit dem Argument verboten, dies verstoße gegen die Religionsfreiheit. Faktisch hatte sich dadurch aber nicht viel verändert. So stand nach wie vor im Bayerischen Schulgesetz: »Angesichts der kulturellen und geschichtlichen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht.« Eltern von schulpflichtigen Kindern konnten dagegen lediglich Widerspruch einlegen.
Allerdings ließ man sich nicht gern an das Urteil erinnern, und – wie vor einem Jahr zu merken war – schon gar nicht von einer türkischstämmigen CDU-Politikerin. Die spätere niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, Aygül Özkan, wurde heftig angegangen, nachdem sie in der Presse gesagt hatte: »Christliche Symbole gehören nicht an staatliche Schulen.« Dasselbe galt für die Muslimin übrigens auch für Kopftücher. Nur wenige Tage später erklärte Özkan im Landtag, sie habe das Interview voreilig und »in Unkenntnis der in Niedersachsen gelebten Praxis« gegeben. Was auch immer das heißen mochte – denn das Urteil des Bundesverfassungsgericht galt auch dort, und eine dem widersprechende Regelung im Schulgesetz gibt es in Niedersachsen nicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.