Irak seiner Zukunft beraubt

Hans von Sponeck zum 8. Jahrestag des Beginns der US-Invasion

  • Lesedauer: 4 Min.
In der Nacht vom 19. zum 20. März 2003, heute vor acht Jahren, begannen die USA ihren bis heute nicht beendeten Krieg gegen Irak. Hans Christof von Sponeck (geboren 1939 in Bremen) war stellvertretender UN-Generalsekretär und bis 2000 Leiter des UN-Hilfsprogramms in Irak. Heute lehrt er am Zentrum für Nahen und Mittleren Osten an der Universität Marburg. Mit ihm sprach für Neues Deutschland Karin Leukefeld.
Irak seiner Zukunft beraubt

ND: Der UN-Sicherheitsrat hat gerade eine Flugverbotszone über Libyen verhängt. Das bringt für Sie sicher Erinnerungen mit sich, denn auch Irak war einst von Flugverbotszonen betroffen.
Sponeck: Ja, man bekommt Angst. Man weiß ja, wie eine Flugverbotszone in Irak missbraucht worden ist, um das Land systematisch zu destabilisieren, weil es mit der eigenen Politik nicht übereinstimmte.

Sie nennen die Situation in Irak einen »vergessenen Skandal«. Was ist der Skandal in Irak?
Der Skandal in Irak ist die Tatsache, dass 21 Jahre lang ein Volk misshandelt wurde. Zunächst durch einen Diktator, dann durch eine Reaktion aus der internationalen Gemeinschaft, dem Sicherheitsrat, mit einem sogenannten »humanitären Programm«, was im Grunde genommen total inhuman gewesen ist, denn es hat ein ganzes Volk in die Knie gezwungen. Und dann kam eine völkerrechtswidrige Invasion, gefolgt von einer brutalen Okkupation. Das Land, die Menschen mussten den Zusammenbruch ihres politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems erleben, das ist der Skandal. Außerdem ist Irak von den großen Medien und in der Weltöffentlichkeit weitgehend vergessen. Gerade in europäischen Medien zeigt sich eine absolute Irak-Müdigkeit.

Eine der Krisen in Irak betrifft die Bildung. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Das ist ein Drama, dessen Auswirkungen noch einige Jahre auf sich warten lassen werden. Der große Graben zwischen den gebildeten Irakern, die früher in den eigenen Schulen oder im Ausland ausgebildet wurden und denen, die heute aus den Schulen entlassen werden, ist so groß, dass man erwarten muss, dass das Potential einer gebildeten Nation, wie Irak es mal gewesen ist, kaum noch sichtbar sein wird in der Zukunft.

Nach der Invasion 2003 kamen neue Probleme hinzu.
Das »nationale Immunsystem« war zur Zeit der Invasion sowieso schon geschwächt. Die Kinder waren nicht normal aufgewachsen, sie hatten psychische Belastungen aller Art. Viele waren unterernährt und damit nicht vorbereitet auf eine neue Phase dieses Dramas. Dann kam hinzu, dass die Kinder nicht regelmäßig in die Schule gehen konnten, weil man nie wusste, wo die nächste Bombe explodiert, Ein Wiederaufbau zerstörter Bildungseinrichtungen fand nicht statt. Zudem wurde nun in Schulen und Universitäten nach Religions- oder ethnischer Zugehörigkeit ausgewählt, das gab es zuvor nicht. Die Situation der Bildung ist miserabel und jetzt noch schlechter als zu Zeiten der Sanktionen.

Akademiker wurden nach 2003 gezielt bedroht und ermordet, die Rede ist von 580 Personen.
Es ist ein Buch veröffentlicht worden, »Cultural Cleansing«. Es weist darauf hin, dass hier in systematischer Art Akademiker und andere Spezialisten ermordet wurden. Da ist eine gewisse Systematik erkennbar.

Sie traten aus Protest gegen die UN-Sanktionen von Ihrer Position als UN-Koordinator für Humanitäre Hilfe in Irak zurück. Sie engagierten sich gegen die Sanktionen, warnten vor der völkerrechtswidrigen Invasion 2003. Acht Jahre später sind Sie noch immer engagiert für die Iraker und ihr Land, obwohl es in der internationalen Politik so gut wie keine Resonanz gibt. Entmutigt Sie das nicht?
Es geht um Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, über die so viel gesprochen wird, aber die so wenig eingehalten wird. Immer wieder wird gesagt, es sei Menschenrecht, Bildung zu genießen, aber elegant vergisst man große Teile der Bevölkerung. Ob das in Irak ist, ob in Afghanistan oder in anderen Teilen der Welt, die politisch nicht so wichtig erscheinen, wie weite Teile Afrikas, wo auch kein Druck gemacht wird, das zu ändern.

Wie in Irak gab es in Libyen Vermittlungsangebote (von Hugo Chávez aus Venezuela und von der Afrikanischen Union), doch die EU und die USA lehnten ab.
Die Welt befindet sich im Umbruch. Europäer und Amerikaner sind bisher nicht bereit, das anzuerkennen. Man lehnt alles ab, von dem man meint, dass das nur in den eigenen Verantwortungskorb gehört. Man will das Entscheidungsrecht nicht an andere Instanzen weitergeben.

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