Einig in Feindschaft zu Gaddafi

Libyens Opposition – eine undurchsichtige Allianz der Unzufriedenen

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 5 Min.
Wer sind die Oppositionellen, die Gaddafi stürzen wollen und denen die Kriegsallianz mit ihrem »Schutzschild« aus Kampfflugzeugen und Marschflugkörpern zur Hilfe geeilt ist?

Am 15. Februar 2011 forderten Demonstranten in Bengasi die Freilassung Fethi Tarbels. Der junge Mann ist Sprecher der Familien der Gefangenen, die 1996 im Gefängnis von Tripolis bei einer bewaffneten Auseinandersetzung getötet worden waren. Tarbel kam frei, Gaddafi lud die Familien der Getöteten zu einem Essen am Tag des Prophetengeburtstags ein, doch die Unzufriedenheit hielt an.

Im Internet kursierten Aufrufe zu einem »Tag des Zorns« am 17. Februar, Tausende kamen – nur in Bengasi. Sicherlich wurden nicht alle per Internet mobilisiert, denn Libyen hat gemessen an der Bevölkerung die wenigsten Internetnutzer in der arabischen Welt. Die Teilnahme an den Protesten zeigt vielmehr, dass es nur eines Tropfens bedurfte, um das Fass überlaufen zu lassen, der unterschwellige Unmut gegen Muammar al-Gaddafi war groß.

Der Osten Libyens ist bis heute Zentrum der Proteste. Ein Grund dürfte die Entfernung zu Tripolis sein, andererseits sind die Städte Bengasi, Al Bayda, Tobruk weitgehend eigenständige und reiche Öl- und Industriezentren mit guten Kontakten zum Ausland. Hier hat der »Nationale Übergangsrat« seinen Sitz, ein 31-köpfiges Gremium von Akademikern, Politikern und Militärs, die eine teilweise sehr persönliche gemeinsame Geschichte mit Gaddafi haben. Doch auch der Rechtsanwalt Fethi Tarbel gehört dazu. Der Rat will das Land »nach Gaddafi« zu Wahlen und einer neuen Verfassung führen. Ein künftiger Präsident soll eine begrenzte Amtszeit haben, außerdem soll ein Mehrparteiensystem eingeführt werden.

Der Vorsitzende Mustafa Abdul Dschalil stammt aus der Hafenstadt Al Bayda, deren Einwohner griechische und afrikanische Wurzeln haben, wo aber auch Ägypter und Berber leben. Aufgrund der Lage ist die Stadt offen, das Leben ist dennoch von einem traditionellen sunnitischen Islam geprägt. Der 59-jährige Dschalil war bis 21. Februar – als er zur Opposition wechselte – Justizminister Libyens. Sprecher des Übergangsrats ist Abdul Hafez Ghoga, Menschenrechtsanwalt aus Bengasi, der zunächst einen eigenen Interimsrat gegründet hatte, bevor er sich Abdel Dschalil anschloss.

Militärisch wird der Aufstand von Omar al-Hariri aus Tobruk geführt. Al-Hariri stürzte 1969 gemeinsam mit Gaddafi König Idris, wurde 1975 aber inhaftiert, als er Gaddafi stürzen wollte. Nach 15-jähriger Haft wurde er 1990 in den Hausarrest entlassen. Al-Hariri brachte die Forderung nach einer Flugverbotszone und Luftschlägen gegen militärische Ziele ins Gespräch.

Als Mann des Westens kann Mahmoud Dschibril gelten, der in den USA promoviert hat und im Übergangsrat für Außenbeziehungen zuständig ist. Mit anderen Intellektuellen gründete er ein Projekt »Vision für Libyen«. Er wurde von Nicolas Sarkozy empfangen, auch US-Außenministerin Hillary Clinton sprach mit ihm. In den von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen aus Tripolis (2009) wurde Dschibril als »ernst zu nehmender Vermittler« bezeichnet, der »die US-Perspektive kapiert« habe.

Ein anderer Faktor der Opposition sind jene Stämme, die von Gaddafi ausgegrenzt und teilweise verfolgt worden waren. Mit anderen Stämmen schloss er zumindest Bündnisse oder er zahlte ihnen viel Geld. Zu seinen Gegnern gehören die Tubu, die auch in Ägypten, Tschad und Niger leben. Im Februar sprach in Al Bayda eine Versammlung der Stämme Abdul Dschalil ihr Vertrauen aus, der Ältestenrat der Al-Zuaya, die im Gebiet der wichtigsten Ölvorkommen siedeln, drohte die Öllieferungen nach Europa zu unterbrechen. Andere Vertreter, darunter die des Stammes Al-Warfalla und die Tuareg, riefen das Militär auf, sich von Gaddafi zu distanzieren. Da sozial die Stammesbindungen wichtiger sind als politische Bindungen, liefen viele Soldate,n aber auch hohe Offiziere zur Opposition über.


Die Welt ist gespalten

NATO und EU sind über den Krieg in Libyen gespalten. Viele Schwellenländer und andere Staaten lehnen die Militäraktion ab:

USA: Führen die »Koalition der Willigen«.

GROSSBRITANNIEN: Bereits im Kriegseinsatz. Möchte ebenso wie die USA eine Führungsrolle der NATO.

FRANKREICH: Begann mit Bombardements in Libyen. Will die NATO heraushalten.

SPANIEN: Mit Kampfflugzeugen und Schiffen beteiligt.

ITALIEN: Stellt Flugzeuge und Stützpunkte und fordert Führungsrolle für die NATO.

GRIECHENLAND: Mit Stützpunkten dabei, nicht mit eigenem Militär.

TÜRKEI: Beteiligt sich nicht an Militäraktion gegen islamisches Land. Fordert Führungsrolle für die UN.

KANADA: Starke Beteiligung mit Flugzeugen und Schiffen.

BELGIEN: Mit sechs Kampfflugzeugen dabei.

DÄNEMARK: Schickt Kampfflugzeuge.

NORWEGEN: Hat Entsendung von Kampfflugzeugen vorerst gestoppt, fordert klare NATO-Führungsrolle.

POLEN: Nimmt an Militäraktion nicht teil, aber zu humanitärer Hilfe bereit.

BULGARIEN: Lehnte anfangs Militäreinsatz ab, erklärte sich später bereit, bei Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen zu helfen.

TSCHECHIEN: Politisch für den Einsatz, militärisch nicht dabei.

RUMÄNIEN: Bekennt sich zur UN-Resolution, will NATO unterstützen, legt sich aber nicht auf Details fest.

CHINA: Lehnt Militäraktion ab, fordert Waffenruhe und diplomatische Lösung.

RUSSLAND: Fordert sofortige Waffenruhe. »Kürzester Weg zur Sicherheit« sei ein Ende der Gewalt und ein Dialog.

BRASILIEN Fordert sofortige Waffenruhe und plädiert für eine Lösung der Krise durch Dialog.

INDIEN: Lehnt Militäreinsatz ab. Regimewechsel sei »innere Angelegenheit«.

SÜDAFRIKA: Hatte für die UN-Resolution gestimmt, sagt aber »Nein zum Töten von Zivilisten, Nein zur Doktrin des Regimewechsels und Nein zur ausländischen Besetzung Libyens«.

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