Abtreten, Wehrdienstpflichtige und Zivis!
Freiwillige vor: 15 000 Personen für den Wehrdienst und 35 000 für den Bundesfreiwilligendienst gesucht
Rund 55 Jahre nach ihrer Einführung hat die Wehrpflicht ausgedient. Darüber sind sich grundsätzlich alle Parteien im Bundestag einig. Dennoch stimmten dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der ab 1. Juli einen freiwilligen Wehrdienst von sechs bis 23 Monaten für 15 000 Männer und Frauen vorsieht, gestern im Bundestag nur die Parteien der Koalition zu. Die Oppositionspolitiker bemängelten eine schlechte Vorbereitung der Reform, Grünen und LINKEN geht zudem die Gesetzesänderung nicht weit genug.
Denn von der Abschaffung der Wehrpflicht kann keine Rede sein. »Vielmehr sollen die Pflichtdienste künftig nach der im Grundgesetz geregelten Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalles wieder aufleben«, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfes. Dies garantiere »die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung«. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) nannte den Schritt notwendig, aber »keinen Freudenakt«.
Bekanntlich geht die Aussetzung der Wehrpflicht einher mit einer Verkleinerung, aber Spezialisierung der Bundeswehr für ihre Einsätze in aller Welt. Hunderttausende von jungen Leuten, die in zuletzt sechs Monaten den Umgang mit der Waffe in groben Zügen lernten, werden nicht mehr gebraucht. In den vergangenen Jahren schon wurden viele junge Männer gar nicht erst eingezogen oder leisteten lieber Zivildienst. Denn seit die deutschen Truppen unter Rot-Grün wieder zu einer »normalen« Armee wurden, müssen Soldaten damit rechnen, im Auslandseinsatz ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Nach einem aktuellen Bericht der »Mitteldeutschen Zeitung« leidet jeder 20. Soldat nach einem Auslandseinsatz unter dem posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS), das sind mehr als je zuvor. Der Bund Deutscher Veteranen deutete an, dass die Zahl der PTBS-Fälle noch weitaus höher liegen könne, da die Traumatisierungen erst nach Jahren aufträten – lange nach der Befragung der Soldaten.
Mit der Aussetzung der Wehrpflicht endet auch der zivile Ersatzdienst. Ein Bundesfreiwilligendienst von sechs bis 24 Monaten soll ihn nach dem Beschluss des Bundestages ersetzen. Das Familienministerium will 35 000 Männer und Frauen dafür gewinnen. Die Bezahlung sollen die Organisationen und Verbände mit den Freiwilligen selbst aushandeln – und das in Branchen, in denen häufig selbst Fachkräfte kaum von ihrem Lohn leben können.
Oppositionspolitiker kritisierten vor allem die entstehende Doppelstruktur. Bisher können junge Frauen und Männer bis 27 Jahre ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr unter Verantwortung der Länder ableisten. Politiker der LINKEN forderten die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen bei tariflicher Bezahlung, unter anderem in der Pflege. Die »Arbeitsmarktneutralität« sei schon beim Zivildienst nicht eingehalten worden, »sonst wäre die Aufregung nicht so groß«, merkte Kai Gehring (Grüne) treffend an. Denn tatsächlich machten sich die »Zivis« – früher als Drückeberger beschimpft – im Laufe der Jahrzehnte unentbehrlich.
Umso mehr strebte die Bundesregierung danach, in »sportlichem Tempo« (Sönke Rix, SPD) einen Ersatz zu schaffen, der die Lücken schließt und sogar dem Bundesamt für Zivildienst seine grundsätzliche Daseinsberechtigung erhält. Herausgekommen ist etwas, das die Kritiker »Freiwilligendienste erster und zweiter Klasse« nennen.
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