Die Selbstversorger
Das 140-Seelendorf Feldheim in südwestlichen Brandenburg hat sich vom Stromnetz abgekoppelt
Unentwegt kreisen die Rotorblätter der Windräder. Es sind Dutzende in der Feldmark rund um Feldheim. Von weitem sind sie lautlos; aber kommt man ihnen näher, dann surren ihre steten Bewegungen. Abends erscheint das blinkende Lichtsignal für die Flugzeuge. »Schön sind die Dinger nun nicht gerade«, findet Bürgermeister Michael Knape.
Treuenbrietzens Gemeindeoberhaupt hat nicht vergessen, dass noch vor wenigen Jahren die Anlagen belächelt wurden. Zu ineffizient für eine Energieförderung, hieß es. Doch das FDP-Mitglied glaubte an die steigende Leistung von Windkraft. Nach und nach wurden die älteren Anlagen gegen neuere ersetzt. Mittlerweile erzielt der Windpark von Feldheim eine elektrische Leistung von 74,1 Megawatt. Die neuesten Räder reichen bis zu 134 Meter in die Höhe; ihre Naben sind so groß wie ein Lkw. Michael Knape hat sich damit längst abgefunden. »Dann haben wir die Anlagen eben in der Landschaft. Immerhin sind die besser als Atomkraftwerke.«
Für Feldheim, einem Ortsteil von Treuenbrietzen, kam mit diesen Ungetümen der Wandel. Anderswo protestieren die Bürger gegen die Windanlagen, weil sie die Landschaft verschandeln würden, doch die 140 Einwohner begriffen sie als Entwicklungsmöglichkeit. Zu verlieren hatten sie ohnehin nicht viel, denn mehr als eintönige Kiefernwälder und sandige Ackerböden gibt die Gegend nicht her. Der Fläming im Südwesten Brandenburgs ist eine strukturschwache Region.
Als Feldheim sich im Oktober vergangenen Jahres vom Energienetz abkoppelte, sorgte der Ort für Furore. Den Strom beziehen die Einwohner seitdem von den Windanlagen, und die Heizungswärme kommt von einer Biogasanlage der örtlichen Agrargenossenschaft. Für die kalten Tage steht zudem eine Holzhackschnitzel-Heizung zur Verfügung. Alles, was das Dorf zur Energieversorgung braucht, kommt aus der Umgebung.
Das Bioenergiedorf zieht Besucher an
Mit einigem Stolz stellten die Bewohner ein neues Schild auf. »Energieautarker Ortsteil Feldheim« steht darauf. Seitdem ihr Dorf vom Bundeslandwirtschaftsministerium als »Bioenergiedorf« ausgezeichnet wurde, kommen Besucher aus aller Welt. »Vornehmlich sind das Delegationen aus Ländern, in denen eine dezentrale Energieversorgung weit verbreitet ist«, hat Knape beobachtet. Das Provinzdorf Feldheim, das der Bus aus Treuenbrietzen nur fünfmal am Tag anfährt, leistet in Sachen regenerativer Energieversorgung Pionierarbeit.
Die Entwicklung begann vor 15 Jahren, als der Ökostromerzeuger Energiequelle GmbH die ersten Windräder auf die Äcker stellte. »Natürlich gab es bei uns im Dorf Bedenken, wie überall«, erinnert sich die Ortsvorsteherin Petra Richter – ob die Rotorblätter zu laut seien, das nächtliche Geblinke auf den Geist gehe oder den Jägern das Wild wegbleibe. »Aber die Tiere blieben, und unsere Jäger beruhigten sich. Auch wir als Anwohner arrangierten uns damit«, meint sie. In Feldheim gab es keine Bürgerinitiativen wie jetzt in Kallinchen, nur wenige Kilometer entfernt, wo das Unternehmen Energiequelle seinen Sitz hat.
»Ohne die Mitwirkung der Anwohner wäre eine solche Entwicklung nicht möglich gewesen«, sagt Bernhard Frohwitter, der Sprecher von Energiequelle. »Der Weg, den Feldheim geht, ist keine kühne Vision, die wir in unseren Büros ausgetüftelt haben.« Dennoch war der Ökostromlieferant die treibende Kraft in Sachen autarker Energieversorgung. Für Energiequelle ist die Entwicklung in Feldheim ein Musterbeispiel, wie man eine Versorgung mit regenerativen Energien in dünn besiedelten Regionen organisieren kann.
Ein Meilenstein in Richtung Selbstversorgung war der Aufbau einer Biogasanlage auf dem Gelände der Agrargenossenschaft. »Nachdem die Preise für Zuckerrüben und Kartoffeln gesunken waren, suchten wir nach einem neuen Standbein, das uns unabhängiger von den Marktpreisen für Getreide und Feldfrüchte macht«, begründet Werner Schlunke, der Leiter des Agrarbetriebes, seinen Einstieg in die Energieerzeugung.
Die Landwirtschaft musste die Genossenschaft dafür nicht komplett umstellen. Um eine Biogasanlage mit einer elektrischen Leistung von 500 Kilowatt zu betreiben, braucht man keine Monokultur auf dem Acker. In dem Fermenter genannten Behälter der Biogasanlage vergären Schweine- und Rindergülle sowie Mais und Getreideschrot. Dadurch entsteht Gas, das in einem Blockheizkraftwerk verstromt wird. Die dabei erzeugte Wärme wollte die Agrargenossenschaft anfangs nur für die Schweineställe nutzen. »Ferkel brauchen eine konstante Temperatur von 30 bis 35 Grad«, erklärt Schlunke. Doch eine Anlage, die vier Millionen Kilowatt Strom im Jahr erzeugt, kann auch einen ganzen Ort mit Wärme versorgen. Für das Unternehmen Energiequelle war dies der Schlüssel, um als Investor für die Biogasanlage einzusteigen.
Damit gewann das Vorhaben einer lokalen Energieversorgung an Dynamik. 45 private und sechs gewerbliche Grundstückseigentümer schlossen sich zu einer Körperschaft zusammen, der Feldheim Energie GmbH & Co KG. Jeder Haushalt erwarb einen Anteil für Strom und Wärme für 3000 Euro. »Abgesehen von den fünf Mietshäusern, die nicht ans lokale Netz gehen dürfen, und zwei Ausnahmen machen alle mit«, berichtet Ortsvorsteherin Richter.
Preiswerte, regenerative Energie
Hintergrund für eine solche Geschlossenheit ist der finanzielle Anreiz einer Selbstversorgung. Die Verträge haben günstige Konditionen und lange Laufzeiten: Strom kostet neben der monatlichen Grundgebühr von 5,95 brutto im Verbrauch 16,6 Cent je Kilowattstunde. Das ist fast ein Viertel günstiger als der Tarif des früheren Versorgers E.on Edis. Die monatliche Grundgebühr für Wärme beträgt 29,95 zuzüglich 7,5 Cent die Kilowattstunde.
Für den Bau der Wärmeleitungen gab es EU-Fördergelder. Das neue Stromnetz hingegen ließ Energiequelle ohne Zuschüsse verlegen. Der Schritt wurde notwendig, weil der Netzanbieter E.on Edis sich geweigert habe, seine Leitungen zur Verfügung zu stellen, erklärt Frohwitter. »Unser Antrieb war weniger der Kampf um 50 Kunden, sondern der Idealismus, die Energieversorgung lokal und regenerativ auf die Beine zu stellen.« Tatsächlich speist Energiequelle den Großteil des Stroms aus dem Windpark ins öffentliche Netz. Nur etwa ein Prozent der erzeugten Menge nutzt der Ort.
Wer nach Feldheim kommt, hört meistens nur die Hunde bellen, sieht aber niemanden auf der Straße. Es ist ein kleines verschlafenes Nest unweit der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt; und doch ist der Ort auf dem Wirtschaftsweg »Hinter den Gärten« ein anderer: Neben den Schweineställen ragen die kreisrunden Zylinder der Biogasanlage empor. Dahinter ist die Holzhackschnitzel-Heizung, und auf dem Nachbargrundstück baute vor zwei Jahren EQ-Sys eine Fertigungshalle. Die Tochterfirma von Energiequelle stellt bewegliche Module für Solaranlagen her. Während sich die Katzen an warmen Tagen vor den Häusern im Sand räkeln, sitzt am Eingang von EQ-Sys ein Pförtner hinter einer Glasscheibe und empfängt die Besucher.
Bürgermeister Michael Knape freut sich über diese Entwicklung. »Wir haben hier praktisch Vollbeschäftigung.« Die Agrargenossenschaft ist ein Ausbildungsbetrieb mit über 30 Beschäftigten, und EQ-Sys stellt 19 Metallarbeiter und Ingenieure an. Knape hofft, künftig auch die jungen Leute im Dorf zu halten.
Deshalb plant die Gemeinde an einem weiteren Projekt. Ausgangspunkt hierfür ist das ungebrochene Interesse an dem Bioenergiedorf. Alleine im letzten Jahr kamen 1800 Besucher. Für sie hat die Feldheim Energie GmbH eigens einen Info-Container aufgestellt – eine vorübergehende Lösung. Denn längst sind die Pläne gereift, den alten Gasthof »Zur Linde« zu einem Zentrum rund ums Thema erneuerbare Energien umzubauen. Neben einer Ausstellung und einem Café sollen dort in den kommenden Jahren Seminar- und Schulungsräume entstehen, die dann in Kooperation mit Hochschulen genutzt werden.
Hätte Michael Knape vor zehn Jahren jemand gesagt, dass die Windräder es einmal schaffen würden, die verlassene Gaststätte zu beleben, hätte er nur mit dem Kopf geschüttelt. »Daran hätte ich nicht einmal im Traum gedacht.«
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