Konservierte Zeiten
Geschichte der Halberstädter Würstchenfabrik wird in einer neuen Dauerausstellung präsentiert
Die Schau heißt »Konservierte Zeiten«, und zu verdanken ist die Ausstellung zur Geschichte der Halberstädter Würstchen Karlheinz Krone, dem langjährigen Chef der Fleischwarenfabrik in Halberstadt (Sachsen-Anhalt). 1990 fühlte er sich, fast 50jährig, wie »in die kalte Würstebrühe geworfen«. Von einem Tag auf den anderen hatte man ihn am 30. Juni 1990 vom VEB-Betriebsdirektor zum Geschäftsführer gemacht.
Mit dem »Wartburg« fuhr er in den Westen, um die einstige DDR-Bückware anzupreisen. »Das Auto war noch 5000 Mark wert, mein Funktelefon darin 6000.« Doch er kannte wie kaum ein anderer das Innenleben der Firma: »Wenn undichte Regenfallrohre durch die Produktion verlaufen, braucht man über den Hygienestatus nicht zu reden.« Das sahen nach der Wende potenzielle Investoren nicht anders. »30 Interessenten saßen bei mir am Tisch. 29 von ihnen gaben mir den guten Rat, die Planierraupe zu bestellen und neu zu bauen.«
Dose mit Trauerflor
Nur der Niedersachse Ulrich Nitsch entschied sich bewusst nicht für die grüne Wiese. »Das einzige, was heute auf der grünen Wiese steht, sind die Liegen unseres Wellnessbereichs,« scherzt der Seniorchef. Er hatte kürzlich noch mal in den Kaufvertrag mit der Treuhand geschaut. »Ich muss in sehr guter Stimmung gewesen sein, den so zu unterzeichnen. 36,7 Millionen Euro habe ich hier investiert.« Krone und Nitsch gingen in den Ruhestand, mit Silke Erdmann-Nitsch und ihrem Bruder Stefan führt jetzt die nächste Generation das Unternehmen.
Karlheinz Krone freut sich, wie viele Exponate für sein Museum schließlich zusammenkamen. Einheimische Handwerker gestalteten den Ausstellungsraum, in dem künftig die seit Längerem angebotenen »Würstchen-Führungen« starten, bei denen jährlich fünfstellige Besucherzahlen registriert werden.
Über seinen ersten Kontakt mit westdeutschen Handelsketten erzählt Krone: »Die Qualität der Würstchen mit dem typischen Halberstädter Buchenrauch stimmte. Klar gesagt wurde mir aber, dass die Braut schöner gemacht werden muss. So haben wir die Verpackungen und Etiketten erst einmal aufgehübscht.«
Nicht nur Handel und EU-Prüfer besuchten das Unternehmen. »Ich habe auch gemerkt, dass sich gelegentlich bei den Journalisten Neugierde und Hinterhältigkeit mischten. Wenn jemand für sein Filmchen über unseren Erfolg einen Trauerflor an eine Dose heftet, weil er das Bild später einmal brauchen könnte, dann glaubt er nicht an uns«, sagt Krone. Das hat ihn über Jahrzehnte begleitet: Überzeugt zu sein von den Produkten, die er verkauft, eine emotionale Bindung dazu aufzubauen. »Da konnte ich immer auf die Mitstreiter in der Firma bauen. Denn ohne die Menschen, die mitziehen, sind die Manager aufgeschmissen.«
Viele Details sind in der Ausstellung zu erfahren – so vom Kyffhäuser-Unwetter, das dem umtriebigen Gründer Friedrich Heine fast den Firmenstart vermasselte. Präsentiert werden eine Dosenpresse und ein Würstchen-Wärmer, der Karl-Marx-Orden von 1972, die Agra-Medaille, die jüngsten DLG-Plaketten in Gold sowie das 2010 verliehene EU-Schutzsiegel »Geschützte geografische Angabe«.
Geschmack von damals
Eines allerdings kann die Ausstellung »Konservierte Zeiten« nicht bieten: den Geschmack von damals, als es die Halberstädter Bockwurst zu roter Fassbrause oder Bier in Pappbechern am Bahnhofskiosk gab. Vielleicht auch gut so, denn möglicherweise würde mit der Mär aufgeräumt werden, dass damals alles besser schmeckte.
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