Flucht aus der Fußball-Depression
»Tom meets Zizou« – Das Filmporträt über Thomas Broich erzählt kein Sommermärchen
Die letzten Szenen haben für den Spieler und den Regisseur gleichermaßen eine große Bedeutung. Brisbane Roar holt im Finale der australischen A-League gegen die Central Coast Mariners in der Verlängerung einen 0:2-Rückstand auf. Thomas Broich liefert zu beiden Toren die Vorlagen, gewinnt nach Elfmeterschießen die Meisterschaft und ist in diesen Momenten gleichzeitig auf dem Spielfeld und der Kinoleinwand der Hauptdarsteller. Sein erster Titel nach elf Jahren Profifußball – nach der Flucht aus der Bundesliga an die 16 000 Kilometer entfernte Ostküste Australiens. Bilder aus Down Under stehen auch am Anfang der Langzeitdokumentation: »Es ist extrem viel Scheiße gelaufen«, blickt Broich im Springbook National Park auf seine Karriere zurück.
Über acht Jahre hat ihn dabei der Regisseur Aljoscha Pause begleitet. Nach über 50 Drehtagen und 100 Stunden Filmmaterial ist mit »Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen« ein beeindruckendes Porträt eines Fußballers entstanden, dem die Welt des Profisports zu klein war und an deren Gesetzen er fast zerbrochen wäre. Obwohl Pause »keine Idealgeschichte« erzählen wollte, habe er Broich diesen Verlauf nicht gewünscht, so der 39-jährige Grimme-Preisträger auf der Bühne des Berliner Kinos Babylon, wo der Film beim 8. Internationalen Fußballfilmfestival »11mm« vergangene Woche seine Premiere feierte.
Als im Jahr 2003 die Dreharbeiten begannen, dachte selbst Pause nicht an solch eine Langzeitdokumentation. Geplant war eine Porträtreihe talentierter junger Spieler. Und da fiel der Name Broich ganz selbstverständlich neben Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski. Der damals 22-Jährige spielte in der 2. Bundesliga bei Wacker Burghausen und weckte als technisch starker Spielmacher schnell das Interesse größerer Klubs – und als Mensch das Interesse des Filmemachers. »Ich hatte sofort das Gefühl, das gibt mehr her«, erinnert sich Pause. Broich war anders, kein typischer Fußballer. In der oberbayerischen Provinz konnte er das ausleben, auch weil er sportlich unantastbar war. »Die Bücher, die Thomas liest, kennen wir nicht«, sagt ein damaliger Mitspieler und nennt die Autobiografie von Dieter Bohlen als Bestseller in der Mannschaft. Broich liest Hemmingway, Camus oder Dostojewski, weil ihn Themen wie »Freiheit, Identität und Moral« interessieren. Er hört klassische Musik, spielt selber Gitarre und Klavier und studiert später in Düsseldorf nebenbei Philosophie.
»Wer sich anders verhält, wird als Gefahr erkannt«, weiß der aktuelle HSV-Trainer und Broichs Ex-Coach Michael Oenning um die Angst im Profigeschäft. Zu spüren bekam es Broich aber erst mit den ersten Rückschlagen. Im Januar 2004 wechselte er in die 1. Liga zu Borussia Mönchengladbach und wurde von den Medien als neuer Günter Netzer gefeiert. Er spielte in der U21-Auswahl neben Kevin Kuranyi, im Team 2006 mit Mario Gomez – sein Weg zum A-Nationalspieler war vorgezeichnet. Broich erlag »arrogant und eitel den Schmeicheleien« und gab für die Öffentlichkeit bereitwillig den kickenden Philosophen.
Sein Traum von der Bundesliga hatte sich verwirklicht, aber Broich »spürte nichts« in sich und verlor den Antrieb. Dazu kamen eine Verletzung und mit Dick Advocaat ein neuer Trainer – »ein brutaler Diktator«. Dem Spielgestalter entglitten die Fäden, sein Image wurde nun im selben Maße gegen ihn verwandt. Broich war plötzlich zu weich für das harte Fußballgeschäft. Mit dem Wechsel zum 1. FC Köln im Sommer 2006 wiederholte sich die Geschichte. Podolski war zum FC Bayern gewechselt, Broich der neue Hoffnungsträger. Er wollte sich anpassen, nicht mehr außerhalb der Gruppe stehen und erzählte »denselben Mist wie 70 Prozent der Mannschaft«. Doch sein Ruf blieb haften. Im November wurde Christoph Daum Trainer, dem Spieler, die Töpferkurse besuchen, suspekt sind. Auch der letzte Versuch 2009 in Nürnberg scheiterte: »Ich bin in einer Stadt, in der ich nicht leben will und habe eine ausgewachsene Fußball-Depression.« Er will weg, »so weit wie möglich«. Offenheit und spürbare Nähe ergeben eine einzigartige Innenansicht dieses Sports.
Erst zwei Tage vor der Premiere wurde der Film fertig. Aljoscha Pause wollte für seinen Protagonisten unbedingt dieses Happy End: Am 13. März wurde der 30-jährige Broich Meister, zweitbester Spieler der Liga und einer seiner Treffer zum Tor der Vereinsgeschichte.
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