AKW-Betreiber rüsten zur Revanche
Stromkonzern RWE heizt mit seiner Klage gegen das Moratorium den Atomstreit an / Opposition fordert Rechtsgrundlage für Zwangsabschaltung
Der politische Streit um die Zukunft der Atomkraft in Deutschland wird schärfer. Unter dem Druck der anhaltenden Nuklearkatastrophe in Japan, der Massenproteste des vergangenen Wochenendes sowie der verloren gegangenen Landtagswahl in Baden-Württemberg hat sich die Koalition angeblich darauf geeinigt, die vorübergehend abgeschalteten AKW dauerhaft vom Netz zu nehmen. Die Bundesregierung dementiert noch. Gleichzeitig reichte der Energiekonzern RWE Klage gegen die Abschaltung seines AKW Biblis A in Hessen ein. Die Klage ging am Freitagmorgen beim Hessischen Verwaltungsgericht in Kassel ein. Eine schriftliche Begründung steht aber noch aus. Den benachbarten Block B betrifft die Klage nicht, er steht ohnehin wegen einer Revision derzeit still.
Mehrere Fachleute räumen RWE gute Chancen ein, da die Begründung für die zwangsweise Abschaltung der ältesten Meiler von vornherein auf rechtlich wackligen Füßen stand. Die Regierung hatte die Stilllegung mit Verweis auf Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes angeordnet. Danach kann die Stilllegung eines AKW verlangt werden, wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter bestehen. Die Atomaufsichtsbehörden der Bundesländer haben zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum, sie müssen nach diesem Paragrafen einen Gefahrenverdacht aber konkret für jeden Meiler nachweisen, den sie stilllegen wollen. Die Regierung habe es versäumt, ihr Atom-Moratorium auf eine gesetzlich einwandfreie Basis zu stellen, sagte gestern die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn. Die Koalition habe ihre eigenen Gesetze nicht ändern wollen. Die Regierung habe sich nun aber selbst eine Falle gebaut und deshalb RWE gute Chancen gegeben zu gewinnen.
Hessen will RWE notfalls zum Einhalten des Atom-Moratoriums zwingen. Es werde dafür gesorgt, dass das Unternehmen nicht kurzfristig den Betrieb wieder aufnehmen könne, erklärte Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) am Freitag. Sollte RWE den Block A wieder anfahren, werde das Land mit einem Sofortvollzug reagieren.
Die SPD fordert ein sofortiges »Abschaltgesetz«, damit nicht der Steuerzahler den Schadensersatz für schlampiges Regierungshandeln bezahlen müsse. Gleichzeitig signalisierte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, dass die SPD zugunsten eines neuen Energiekonsenses die Klage gegen die Laufzeitverlängerung fallen lassen könnte. Dies könne er sich als Geste des guten Willens »gut vorstellen«, sagte Steinmeier den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe.
LINKE-Chefin Gesine Lötzsch sagte, Merkel habe bei dem Moratorium »nicht rechtsstaatlich gehandelt, sondern nach Gutherrenart«. Die LINKE forderte die Bundesregierung auf, den Atomausstieg endlich auf eine rechtsstaatliche Grundlage zu stellen. Bis zum 30. April 2011 müsse ein Atomausstiegsgesetz vorgelegt werden, das die unverzügliche Stilllegung der übrigen AKW regele. Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) reagierte auf die RWE-Klage mit der Ankündigung, sein Land wolle ein Atomausstiegs-Gesetz in den Bundesrat einbringen.
RWE selbst ließ gestern verlauten, der Konzern sei schon aus rechtlichen Gründen zu der Klage verpflichtet. Durch das dreimonatige Moratorium entstehen den vier AKW-Betreibern Umsatzeinbußen von mehr als 500 Millionen Euro. Im Gegensatz zu RWE wollen E.on, Vattenfall und EnBW zumindest vorerst nicht juristisch gegen das Moratorium vorgehen.
Aus Sicht der Anti-AKW-Bewegung probieren die Konzerne aber nur unterschiedliche Strategien aus, um ein Aus für die Meiler zu verhindern. Unterm Strich wollten die Konzerne die Rettung ihrer maroden Atomkraftwerke, um mit diesen weiter Milliarden zu verdienen. »RWE will mit dem Kopf durch die Wand, E.on versucht sich an der geschmeidigen Methode«, so Jochen Stay von der Organisation »ausgestrahlt«. Seiten 5 und 8
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