Gesünder leben ohne Zusatzbeiträge
Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zu einem Antrag der LINKEN
Immer mehr Zusatzbeiträge für die gesetzlich Versicherten wurden in den vergangenen Jahren eingeführt – von Zuzahlungen für Medikamente, Hilfsmittel und Krankenhausaufhalte bis hin zur Praxisgebühr. Insgesamt spülten diese Beträge 2010 fünf Milliarden Euro in die Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dies sollte verhindern, dass die entsprechenden Leistungen über Gebühr in Anspruch genommen werden. Da die Zuzahlungen unabhängig vom Einkommen für alle gleich sind, wirken sie am stärksten auf Menschen in schwierigen finanziellen Verhältnissen: Geringverdiener, Hartz-IV-Berechtigte oder Alleinerziehende. Diese Benachteiligung der ohnehin sozial Schwächsten bewog die LINKE zu diesem Gegenvorschlag: Zur Finanzierung sollte sowohl die Beitragsbemessungs- als auch die Pflichtversicherungsgrenze erhöht werden – damit würden die Besserverdienenden stärker zur Kasse gebeten.
Bei einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags war das Echo auf den Antrag unter den Sachverständigen wie üblich äußerst gemischt. Allerdings bestand die nahezu einhellige Ansicht, dass die erwünschten Steuerungswirkungen der Zuzahlungen ausgeblieben sind. Im Gegenteil, die Behandlungsfälle der deutschen Vertragsärzte stiegen von 474 Millionen im Jahr 2004 auf 536 Millionen 2009. Die Erwartung, die Versicherten würden sich marktförmig verhalten und auf höhere »Preise« mit geringerer Nachfrage reagieren, erfüllte sich nicht. Nach dem Theorieverständnis etwa der GKV-Stellungnahme könnte der Effekt aber vielleicht dann auftreten, wenn die Eigenbeteiligung höher ausfiele.
Eine gegenteilige Expertise stellte der Sachverständige Jens Holst aus. Der Gesundheitswissenschaftler verwies auf internationale Analysen, nach denen Zuzahlungen schon nach kurzer Zeit etwa die Blutdruckeinstellung, die Versorgung mit Brillen und den Zahnstatus verschlechterten. Auch die kurzfristige Kostenersparnis mache sich nicht bezahlt. In der kanadischen Provinz Quebec führten geringe Rezeptgebühren zum Rückgang der Einnahme wichtiger Arzneimittel bei älteren Menschen um neun Prozent und bei Sozialhilfeempfängern um 14 Prozent. Dies bewirkte wiederum eine Verdopplung der behandlungswürdigen Zwischenfälle und Notfalleinweisungen.
Schon jetzt nehmen nach amtlicher Statistik in Deutschland jährlich sieben Millionen Versicherte die ein- oder zweiprozentige Belastungsgrenze in Anspruch und lassen sich von weiteren Zuzahlungen im jeweiligen Kalenderjahr befreien. Dabei kritisierten die Betroffenen-Vertretungen, dass etwa die aktuelle Chronikerregelung teils gar nicht bekannt, teils für Ältere und Pflegebedürftige nicht zu handhaben sei. Pflegedienste etwa würden nicht dafür bezahlt, wenn sie die Formalitäten für ihre dementen Patienten erledigten.
Sozialverbände bemängelten bei der Anhörung auch die fehlende Transparenz bei vielen Zuzahlungen. Wie hoch diese für Medikamente ausfallen, wird für die Versicherten immer schwerer durchschaubar. Das liegt zum Beispiel daran, dass Apotheken Rabattverträge zwischen Herstellern und Krankenkassen berücksichtigen müssen, die nicht offengelegt werden. So kann auf dieser Basis ein eigentlich preiswerteres Medikament zu einer höheren Zuzahlung führen.
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