Ölkonzern auf der Anklagebank
Proteste überschatten BP-Jahresversammlung – Atempause in Streit mit russischen Oligarchen
Wo sonst Ärger höchstens bei der heißen Schlacht am kalten Buffet ausbricht, artikulierte sich gestern in den Londoner Docklands gleich eine geballte Ladung von Unzufriedenheit: Rund ein Jahr nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko stand die Jahresversammlung des Energiekonzerns BP ganz im Zeichen des Unmuts und der Proteste. Dafür gab es Erleichterung für die Unternehmensführung an anderer Front: Der russische Ölkonzern Rosneft gewährte eine Verlängerung der Frist für den Abschluss des geplanten Aktientausches bis 16. Mai.
Mit dem im Januar angekündigten Geschäft, immerhin 16 Milliarden Dollar (11 Milliarden Euro / 14,5 Milliarden Franken) schwer, hatte der neue BP-Chef Bob Dudley eigentlich einen Befreiungsschlag beabsichtigt. Das Unglück im Golf von Mexiko hatte nicht nur elf Menschenleben gefordert, sondern BP auch 40 Milliarden Dollar. Obwohl das Unternehmen mittlerweile wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt ist und Dividenden zahlt, liegt der Aktienkurs heute immer noch mehr als ein Drittel unter dem Stand vor der Explosion im Golf.
In Russland hatte Dudley aber, nicht zum ersten Mal, die Rechnung ohne den Wirt gemacht. BP ist dort zur Hälfte Eigentümer des Ölkonzerns TNK-BP. Eine Gruppe von Oligarchen, denen die übrigen 50 Prozent gehören, hat eine einstweilige Verfügung gegen den BP-Rosneft-Deal erwirkt, den auch Schiedsgerichte in London und Stockholm bestätigt haben. Bezeichnenderweise bestätigte gestern Rosneft-Sprecher Rustam Kascharow die Verlängerung der Frist für BP, lehnte aber jeden Kommentar zu Gerüchten ab, wonach der russische Ölriese, der auf dem Yukos-Konzern basiert, längst auf der Suche nach anderen Partnern sei.
Gleichzeitig versucht BP fieberhaft, die störrischen Oligarchen auszukaufen. Nach Berichten aus Moskau wurde ein Angebot von 27 Milliarden Dollar für den 50-Prozent-Anteil abgelehnt, und angeblich verlangen die Oligarchen mittlerweile 70 Milliarden Dollar – bei einem Börsenwert von 47,5 Milliarden Dollar für das Gesamtunternehmen. »Unsere Position ist sehr klar: BP hat diese Situation verursacht und muss nun einen vernünftigen Ausweg finden. Nichts dergleichen ist bisher geschehen«, sagte der Sprecher der Oligarchen, Stan Polovets.
Kritik muss sich die BP-Führung auch von unabhängiger Seite gefallen lassen. »Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels«, sagte der Analyst Oswald Clint. »Das ist eine vertrackte, komplizierte und langwierige Situation.« Umgekehrt streute BP gestern aber, die Oligarchen könnten im Poker um den höchstmöglichen Preis ihr Blatt überreizt haben: »Alles, was sie bisher erreicht haben, ist, dass alle verlieren.«
Um ihren Unmut über die BP-Führung auszudrücken, hatten gestern manche Demonstranten weite Reisen auf sich genommen. Aus dem Golf von Mexiko, aus Kanada und aus Nordengland hatten sich Betroffene von BP-Projekten versammelt, die mit Trommeln und Rufen vor dem Konferenzgebäude in den Londonern Docklands auf ihren Ärger aufmerksam machten. »Ich bin gekommen, um meinen Ärger und den von Tausenden Mitbewohnern auszudrücken«, sagte die Fischersfrau Diane Wilson aus Texas. »Unsere Lebensgrundlage ist zerstört worden und wir sind dafür nicht ausreichend entschädigt worden.«
Aus Protest gegen die Fehler der Geschäftsleitung kündigten zwei Pensionsfonds, die zu den führenden BP-Aktionären gehören, an, gegen den Jahresbericht und den Vorstand für Sicherheit, Bill Castell, zu stimmen. Besonders von Kleinanlegern wurde zudem Ärger über die weiterhin mehr als großzügigen Zahlungen an das Top-Management ausgedrückt: Der im Vorjahr geschasste BP-Chef Tony Hayward bekam als »Belohnung« für seinen mehr als unglücklichen Umgang mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko eine Pension von 17,9 Millionen Dollar, eine Abfindung von 1,6 Millionen Dollar und Aktienoptionen von 13 Millionen Dollar. Und musste sich gestern nicht einmal mehr der Kritik der Aktionäre stellen.
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