Die weißblaue Steueroase
Die kleine Gemeinde Grünwald vor den Toren Münchens lockt mit niedriger Gewerbesteuer
Fährt man vom Münchner Arbeiterviertel Giesing die Grünwalder Straße hinaus nach Süden, passiert man rechter Hand das alte Fußballstadion, in dem früher die 1860er spielten. Ein paar Kilometer weiter stadtauswärts hat der von finanziellen Krisen gebeutelte Verein sein Quartier, unweit vom Hauptquartier des reichen und bisher so erfolgreichen FC Bayern.
Liegen hier also Arm und Reich noch nahe beieinander, so ändert sich das, wenn man kurz vor den Bavaria-Filmstudios die Münchner Stadtgrenze überschreitet und sich schließlich in der Gemeinde Grünwald befindet. Die ist so reich, dass hier die Kinder mit 100 Euro extra Kindergeld bedacht werden; und sogar so reich, dass sie jüngst von den Globalisierungsgegnern von Attac in eine Liste mit deutschen Banken in internationalen Steueroasen aufgenommen wurde.
Zwischen Gibraltar und Guernsey liegt Grünwald – jedenfalls auf der Attac-Liste. Diese erfasst Tochter- und Zweckgesellschaften sowie assoziierte Unternehmen deutscher Banken in den weltweiten Steueroasen, ein »Riesenskandal«, so Attac. Denn: »Mit Hunderten von Niederlassungen in Schattenfinanzplätzen enthalten die Banken der Allgemeinheit Steuern in Milliardenhöhe vor, ganz so, als hätten sie nie von den staatlichen Bankenrettungen profitiert.« Mit dabei ist nach Meinung von Attac die 11 000-Seelengemeinde Grünwald. »Dieser Ort kann nach einigen Kriterien als Steueroase bezeichnet werden«, so Jutta Sundermann vom Attac-Koordinierungskreis. Denn in der Kleinstadt leben überdurchschnittlich viele Millionäre. 790 Firmen seien im lokalen Branchenbuch aufgeführt, darunter allein 24 Kapitalanlagegesellschaften.
In der Tat ist Grünwald keine Gemeinde, die durch üppigen Sozialwohnungsbau geprägt ist. Ganz im Gegenteil: Ähnlich wie am Starnberger See haben sich hier viele Wohlhabende niedergelassen, irgendwo muss das Kapital ja wohnen. Zu sehen bekommt man davon allerdings nicht all zu viel. Gerne umgibt man sich mit großen Hecken und Mauern; nur wenn sich die Eingangstore öffnen, fällt der Blick auf Villen und Gärten. Ansonsten spricht man sein Anliegen in die Sprechanlage.
Wo so die unmittelbare sinnliche Erkenntnis von Reichtum und sozialer Klasse seine Grenze findet, hilft der Blick auf die Statistik. So galt Grünwald 2006 als die kaufkräftigste Gemeinde ganz Deutschlands. Mit einer Pro-Kopf-Kaufkraft von durchschnittlich 43 577 Euro pro Jahr und Einwohner stand die Gemeinde an der Spitze. Im Vergleich: Die durchschnittliche Kaufkraft pro Kopf lag damals bundesweit bei nur 17 631 Euro. Heuer liegt die Kaufkraft in Grünwald laut den Prognosen mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
Der Grund für den Grünwalder Wohlstand: »Ein rekordverdächtig niedriger Hebesatz für die Gewerbesteuer«, so Sundermann. Der ist so niedrig, dass eine lokale Zeitung titelte: »Bayerns Steueroase liegt an der A 8«. Der Hebesatz gilt als Schlüssel für die kommunale Steuerpolitik: Über ihn errechnet sich, wie viel ein Unternehmen von seinem Gewinn an die Gemeinde abführen muss. Der Hebesatz wird mit dem vom Finanzamt festgelegten Gewerbesteuermessbetrag eines Unternehmens multipliziert.
Der Durchschnitt des Hebesatzes bei den über 2000 kreisangehörenden Gemeinden in Bayern liegt bei 320 Punkten. Bei den 25 kreisfreien Städten sind es gar 440 Punkte; München liegt mit 490 Punkten an der Spitze. Der Hebesatz in Grünwald liegt bei 240 Punkten, also weit unter dem Durchschnitt. An die 100 Millionen Euro brachte das vergangenes Jahr in die Kassen von Grünwald, was damit zusammenhängt, dass sich dort »heimlich, still und leise jede Menge Leasing- und Investmentfirmen« angesiedelt haben, wie die Lokalzeitung schreibt.
Die Attac-Liste verzeichnet jedenfalls immerhin 15 Filialen der Hypovereinsbank und drei der Deutschen Bank. Für Grünwalds Kämmerer Raimund Bader ist die Liste nicht unbedingt eine Empfehlung: »Wir wollen schon mit seriösen Standorten in Verbindung gebracht werden.« Schließlich sei ein niedriger Hebesatz nichts Illegales. Sondern eben ein Standortvorteil. So wie das zusätzliche Kindergeld, das aus den Gewerbesteuereinnahmen finanziert wird. 747 000 Euro hat die Gemeinde dafür 2010 ausgegeben.
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