Rückfall in alte neoliberale Muster
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert aktive Steuer- und Arbeitsmarktpolitik
Einen Rückfall in alte Muster wirft die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik der deutschen Politik vor. »Kaum ist die Krise überwunden, greift man auf den Umverteilungsansatz zurück«, sagte Heinz-J. Bontrup, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen, bei der Vorstellung des »Memorandums 2011« am Donnerstag in Berlin. Die Wirtschaftspolitik habe nichts aus der Krise gelernt. Deren Hauptursache sei ja gerade die »weltweite Umverteilung von unten nach oben« gewesen, so der Ökonom. Über Jahrzehnte sei die Lohnquote gefallen, während große Vermögen stark gewachsen seien. Da diese nach Anlagen suchten, seien die – zudem deregulierten – Finanzmärkte spekulativ aufgebläht worden, was in die Finanzkrise geführt habe.
Die schnelle Überwindung der Wirtschaftskrise durch das zuletzt überproportionale Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ist nach Ansicht der linken Ökonomen auf das weltweite Auflegen von Konjunkturprogrammen zurückzuführen. Doch gerade in Deutschland gebe man durch Sparkurs und Schuldenbremse die finanzpolitische Handlungsfähigkeit des Staates wieder aus der Hand, deren Wichtigkeit sich gerade erst gezeigt habe. Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen, fordert deshalb ein »anderes Staatsverständnis«. Das Rückführen der aufgehäuften Defizite könne nicht durch die Parole »weniger Staat« gelingen, sondern durch »Mut zur Steuererhöhung«. Dies, ergänzte Bontrup, müsste für diejenigen gelten, die übermäßig an der Wertschöpfung partizipieren – Profiteure von Gewinnen, Zinsen, Mieten oder Erbschaften. Nur so könne auch verhindert werden, dass die gestiegenen Staatsdefizite zu einer weiteren Vermögenskonzentration bei den Inhabern der Staatsanleihen führe.
Auch eine aktive Politik zum Abbau der Arbeitslosigkeit ist nach Ansicht der keynesianisch orientierten Ökonomen zentral für die Konsolidierung der Staatsfinanzen. Dadurch könnten die Sozialausgaben sinken und gleichzeitig die Einnahmen der Sozialversicherung steigen. Daher schlägt die Arbeitsgruppe eine Senkung der tariflichen Wochenarbeitszeit in Deutschland um jährlich fünf Prozent bei vollem Lohnausgleich vor, so dass im Jahr 2015 eine 30-Stunden-Woche erreicht wäre. Allerdings, erläuterte Arbeitsmarktexperte Bontrup, wären die positiven Wirkungen begrenzt, da dies nur für Vollzeitbeschäftigte gelten würde – nicht etwa für prekär oder Teilzeitbeschäftigte, deren Zahl auch beim jüngsten »Jobwunder« massiv zugenommen habe. Für eine echte Vollbeschäftigung fehlten 13 Millionen Vollzeitarbeitsplätze: fünf Millionen Menschen sind in offiziell registrierter oder versteckter Arbeitslosigkeit, weitere acht Millionen Stellen fehlen für die heute nur geringfügig oder prekär Beschäftigten. Daher wäre ergänzend ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor notwendig. Die Mittel dafür könnten aus einem staatlichen Investitions- und ökologischem Umbauprogramm im Umfang von jährlich 110 Milliarden Euro – etwa vier Prozent des BIP – stammen, das sich wiederum mit Hilfe einer geänderten Steuerpolitik finanzieren ließe.
Memorandum
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, ein lockerer Zusammenschluss von linkskeynesianisch ausgerichteten Ökonomen, legt seit 1975 jährlich ein Memorandum mit Vorschlägen zur Finanz- und Tarifpolitik vor. Es versteht sich als Widerpart zum Jahresgutachten der Fünf Weisen, die die Bundesregierung beraten. Die Kurzfassung des Memorandums 2011 findet sich im Internet unter www.memo.uni-bremen.de. ND
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