Wechsel vom 11. zum 12.

  • H.-D Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Mit dem Tod Bin Ladens bricht der 11. September 2001 wieder in die Hirne, und mit dem Zeitpunkt der Tötung, nur wenige Monate vor dem Jubiläum des Massenmordes, wird dem anschwellenden Pathos der Trauer nun vorab gemeldet: Es darf sich begleitet wissen vom freudigen Pathos der gerechten Vollstrecker.

Bis zu jenem 11. September 2001 war die Ankunft im neuen Jahrtausend allenthalben das gute Gefühl: Mit dem Zeitrechnungssprung aus dem Kalten Krieg und dem Sprung über bröckelnde Mauern würde eine höhere Zivilisationsebene anvisiert. Das 21. Jahrhundert sähe uns gewiss befähigt, auf dem Niveau einer allseits höheren Dynamik der Konfliktbeherrschung zu denken und zu handeln. Mit großer Schwellenlust auf neue Lösungen und von Illusionen entlastet, würden wir uns, so der Eindruck, aus den klammernden Erfahrungen des vergangenen bösen Jahrhunderts lösen.

Dann der Schock. Aber noch folgte dem 11. September ein winziger Moment Glaubens: Amerika war so tief getroffen, so schmerzend verletzt worden, dass es vielleicht erwachen würde aus der imperialen Trance. Und im Taumel einer so noch nie erfahrenen Verletzbarkeit würde sich die Weltmacht endlich interessieren für die Ursachen jenes Hasses, der da einen Ausdruck gesucht und im Türmesturz auch gefunden hatte. Für eine Geschichtsmillisekunde die Illusion: Bin Laden wird nicht gejagt, sondern, um Schlimmeres zu verhüten, ernst genommen. Alles auf Anfang!, Mörder an einen Tisch! – denn, so hat es Christoph Schlingensief damals gesagt, »Amerika ist ja wohl allein seit Chile 1973 in ganz andere Menschengruppen hineingerast als diese beiden Flugzeuge über New York«.

Aus Lähmung heraus die kindliche Hoffnung damals: Es würden nun rücksichtslos untaktische, naivste Schritte zur Abkehr von der Gewaltspirale gefunden. Ein welt-runder-Tisch? Gericht jenseits der Rache? Befriedung ohne Krieg? Weltgemeinschaft gar? Würden jetzt alle über Schatten und Frontgräben springen? Das war die utopischste Chance jenes Bebens. Brecht sagte, dass die Ruhe der Nerven nicht immer gut sei für das Denken. »Es gibt/ auch eine vorteilhafte/ Ausnützung der Verwirrung/ der eigenen Nerven.«

Nichts da! Die Welt des Westens, Zukunft bauend, war schnell wieder daheim im Gestern. Feiert dort Siege seltemer Gerechtigkeit: Wir sind, etwa durch Osamas Tod, vom Bösen errettet – für alle künftigen Kriege.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.