Rathaus systematisch saniert
Restaurierung in Stralsund nach 20 Jahren abgeschlossen
Stralsund. Die Stralsunder Ratsherren müssen im Mittelalter vor Selbstbewusstsein gestrotzt haben. Ihr Motto: Klotzen statt kleckern. Demonstrativ zeigten sie auch der Kirche, wer die wahren Herrscher in der jungen Hansestadt sind. Quer vor die für Prozessionen bedeutsame Westseite der Nikolaikirche setzten sie Anfang des 14. Jahrhunderts ihr neues, prachtvolles Verwaltungsgebäude. Wer von dort in die Kirche wollte, musste zunächst durch das Rathaus. Die rund 20-jährige Sanierung dieses Prachtbaus ist nun beendet.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts forderte Stralsund sogar Lübeck heraus, damals das Zentrum der Hanse: Die Stadt ließ eine backsteinerne Schaufassade an ihrem Rathaus errichten, die graziler, höher und eleganter wirkte als die am Lübecker Rathaus, wie der Stralsunder Denkmalpfleger Gunnar Möller berichtet. Die Protzerei provozierte wiederum Spott: »Dat Stralsunner Rathus is as sine kinner, hoch hinus und nix dahinner« (Das Stralsunder Rathaus ist wie seine Kinder, hoch hinaus und nichts dahinter). So unkte man in Lübeck.
Hohn und Spott konnten der imposanten Fassade nichts anhaben, doch nagte der Zahn der Zeit kräftig am Gemäuer. So begann im Jahr 1991 die mit Abstand aufwendigste Sanierung in der 700-jährigen Geschichte des Rathauses. Jetzt, zwanzig Jahre später, wurde sie abgeschlossen. Heute wird der letzte Bauabschnitt – der Keller – bautechnisch abgenommen. Am Wochenende wird dort, wo Händler einst ihre Tuchballen ausbreiteten, der Abschluss der 14,5 Millionen Euro teuren Arbeiten standesgemäß gefeiert – mit einem Hansetag.
Bei einem Gang durch das alte Gemäuer erinnert sich Peter Boie, Chef der Stadterneuerungsgesellschaft Stralsund (SES), an die Anfänge der Arbeiten und den letzten Hauch DDR in dem Haus. »1991 roch das Rathaus noch nach Kohlrouladen«, meint Boie schmunzelnd. Immer wieder streicht er über kühle Ziegel, über den schwedischen Kalkstein der Säulen. Nicht nur die Kantine, deren Dämpfe das Schwammwachstum wie ein Katalysator begünstigten, ist inzwischen aus dem Verwaltungsbau verschwunden. Auch der Schwamm selbst wurde unter Kontrolle gebracht.
Fachleute trieben 30 Meter lange Edelstahlanker zentimetergenau als Korsett in das Gemäuer. Das Kellergewölbe wurde mit Hydrauliktechnik um einen knappen Zentimeter angehoben, um zerstörte Säulenkapitelle zu ersetzen. Ein Fahrstuhl wurde eingebaut, um den sich der Treppenaufgang wie ein Wurm windet.
In den vergangenen zwanzig Jahren – da sind sich die Denkmalpfleger sicher – wurde jeder Stein, jeder Holzbalken begutachtet. »Es gibt im gesamten Hanseraum kein weiteres Rathaus, das so systematisch untersucht und saniert wurde«, meint Bauhistoriker Jens-Christan Holst. Dabei wurde Überraschendes zu Tage befördert: Ein neun Meter langer Holzbalken konnte auf das Jahr 1309 datiert werden. Die Fachleute sehen darin den Beweis, dass das Rathaus mehrere Jahrzehnte älter ist als bisher angenommen.
Im Keller stießen die Bauleute auf einen Münzschatz aus dem 15. Jahrhundert und kulinarische Hinterlassenschaften: Sechs Eimer Austernschalen schafften die Arbeiter aus dem unterirdischen Gewölbe, datiert auf das 18. Jahrhundert. Die nächste größere Sanierung des Rathauses, ist SES-Chef Peter Boie überzeugt, wird erst in hundert Jahren fällig sein.
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