»Man muss aufklären, nicht dämonisieren«
Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (LINKE) über das Karlsruher Urteil zur Sicherungsverwahrung
ND: Erwarten Sie nach dem Karlsruher Urteil eine massenhafte Entlassung von gefährlichen Serientätern?
Schöneburg: Nein, eine Entlassung von sehr vielen »gefährlichen Serientätern« wird es nicht geben. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schließt das auch aus. Es gibt lediglich besondere Anforderungen bezüglich der Altfälle und derjenigen, bei denen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Diese Fälle sind bis 31. Dezember zu prüfen. In Brandenburg haben wir einen solchen Fall.
Was halten Sie vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Jetzt hätte ich beinahe gesagt: großartig! Das Urteil bestätigt die rechtsstaatlichen Positionen, die wir immer vertreten haben.
Welche Auswirkungen wird das Urteil auf Brandenburg haben?
Es wird natürlich im Vollzug Veränderungen geben. Interessant ist die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, dass die Sicherungsverwahrten ein »Sonderopfer« bringen, weil sie ihre Strafe bereits abgesessen haben. Sie sitzen dann lediglich noch aufgrund einer negativen Gefährlichkeitsprognose. Man kann aber nicht mit 100-prozentiger Gewissheit voraussagen, ob jemand schwerste Gewalt und Sexualstraftaten begehen wird. Das ist ein rechtsstaatliches Problem. Deshalb, sagt das Bundesverfassungsgericht, muss die Sicherungsverwahrung auf Therapie und Freiheit ausgerichtet sein.
Das sind zum Teil direkte Anlehnungen an ein Konzeptionspapier zum Vollzug der Sicherungsverwahrung, das wir hier in Brandenburg gemeinsam mit Berlin im Januar dieses Jahres vorgestellt haben.
Also haben die Karlsruher Richter ein bisschen bei Ihnen abgeschrieben?
»Abgeschrieben« sicher nicht. Aber z. B. der Begriff »Sonderopfer« kommt auch in unserem Papier vor. Vor allem aber kommt darin der Gedanke vor, schon den Strafvollzug zu verpflichten, mit denjenigen, für die eine Sicherungsverwahrung vorgesehen ist, besondere Therapien durchzuführen, um bestenfalls zu verhindern, dass derjenige überhaupt dieses Sonderopfer erbringen muss – indem er am Ende seiner Strafhaft eine positive Gefährlichkeitsprognose bekommt. Schließlich ist auch nach unserem Konzept die Sicherungsverwahrung ganz anders auszugestalten als der Strafvollzug.
Zudem fühlen wir uns in der verfassungsrechtlichen Kritik an dem, was die Bundesregierung im vorigen Jahr vorgelegt hat und seit Januar Gesetz ist, bestätigt. Wir waren das einzige Land im Bundesrat, das gesagt hat, die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei verfassungs- und konventionswidrig, auch bei Jugendlichen. Wenn man die Sicherungsverwahrung überhaupt beibehält, dann muss sie auf den Gedanken der Ultima Ratio zurückgeführt werden, also letztes Mittel der Kriminal- und Strafpolitik sein. Diese Grundgedanken spiegeln sich jetzt in dem Urteil wider.
Wie weit sind Sie denn mit der Realisierung des Konzepts?
Das dauert natürlich alles seine Zeit. Nach der Erarbeitung des Konzepts ist der nächste Schritt ein Gesetz für den Sicherungsverwahrungsvollzug. Und der dritte Schritt ist dann die organisatorische, bauliche Umsetzung des Ganzen.
Hat die Brandenburger Bevölkerung Verständnis dafür, dass man so viel Geld für Straftäter ausgibt?
Ich glaube schon. Man muss aufklären und darf nicht einfach immer nur dämonisieren und skandalisieren. Der Grund für die rechtsstaatswidrige Ausdehnung der Sicherungsverwahrung war ja, dass man vor dem Boulevard zurückgewichen ist. Diese populistische Kriminalpolitik hatte der Ex-Bundeskanzler Schröder mit der Parole »Wegschließen, und zwar für immer« in der Bild-Zeitung befördert.
Wenn man vernünftig argumentiert, dass das Investieren in Therapien zum einen menschenrechtlich gedeckt ist und zum anderen Folgekosten erspart, ist das für die Menschen plausibel.
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