»Wir haben erhebliches Potenzial nach oben«

Baden-Württembergs künftiger Umweltminister Franz Untersteller über neue Windräder, Bürgerproteste und Runde Tische

  • Lesedauer: 4 Min.
Der bisherige Grünen-Fraktionsvize wird mit dem Ressort Umwelt, Klima und Energiewirtschaft ab heute eines der Schlüsselministerien der neuen Landesregierung leiten. Karl Schaaf sprach für ND mit dem 54-Jährigen, wie er aus Baden-Württemberg im Bereich der Erneuerbaren Energien ein »Musterländle« machen will.

ND: Als zuständiger Minister für die Energiewirtschaft sind Sie der oberste Dienstherr der EnBW. Wie schnell wird der Energiekonzern aus der Atomkraft aussteigen?
Untersteller: Ich gehe davon aus, dass Neckarwestheim I und Phillipsburg I nach Beendigung des sogenannten Moratoriums nicht wieder ans Netz gehen werden. Ansonsten bin ich wie viele andere auch erst einmal gespannt, was die Bundesregierung uns im Juni an Vorschlägen für einen beschleunigten Atomausstieg unterbreiten wird.

Unabhängig vom Bund wollen Sie auf Landesebene für eine Energiewende sorgen. Wie wollen Sie anfangen?
Wir haben von Anfang an mehrere Baustellen. Im Mittelpunkt steht der möglichst umweltverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien – Wind, Biomasse, Solarenergie, Wasserkraft –, es geht aber auch um mehr Effizienz. Einen besonderen Stellenwert hat der Ausbau der Windenergie. Im vergangenen Jahr war Baden-Württemberg mit insgesamt 15,3 Megawatt neu installierter Leistung wieder Schlusslicht im Ländervergleich und wurde nur von den beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg unterboten. Wir streben an, den Windenergieanteil an der Stromerzeugung bis 2020 von derzeit 0,7-Prozent auf zehn Prozent zu erhöhen. Wir werden die über Jahre hinweg errichteten Hürden beseitigen und die gesetzlichen Grundlagen – beispielsweise für die Planungsverfahren – novellieren.

Sie wollen perspektivisch 100 Windkraftanlagen pro Jahr bauen. Ist dies realistisch?
Schauen Sie auf Rheinland-Pfalz. Unser Nachbarland ist flächenmäßig erheblich kleiner, dennoch wurden dort im vergangenen Jahr 65 neue Windräder errichtet. In Baden Württemberg waren es gerademal acht. Man sieht, wir haben erhebliches Potenzial nach oben.

Die neue grün-rote Landesregierung will die Bürgerbeteiligung in allen relevanten Bereichen fest verankern. Also »Politik von unten« ins Gesetzbuch?
Es gibt viele Möglichkeiten, mehr Bürgerbeteiligung im Land umzusetzen. Ein Stichwort: Wir werden die Quoren und den Themenkatalog bei Bürgerbegehren vereinfachen und erweitern. Ein zweites: Bei Bauvorhaben werden zukünftig eine frühe Bürgerbeteiligung, Mediation und runde Tische dazu beitragen, dass wir die Bürger besser als bisher mitnehmen.

Das werden etwa die bisherigen Windkraftverhinderer im Land auch zu nutzen wissen. Haben Sie Sorge vor ihrem Widerstand?
Da unterschätzen Sie den Fukushima-Effekt. Uns erreichen von überall im Land Signale, dass beispielsweise Kommunen und Stadtwerke starkes Interesse an der Energiewende und am Ausbau der Windenergie haben. Ich glaube, dass bei vielen CDU-Kommunalpolitikern, die derartige Vorhaben in der Vergangenheit nicht selten skeptisch beäugt haben, durch die katastrophalen Ereignisse von Japan ein Umdenken eingesetzt hat.

Proteste gibt es auch gegen andere Energieprojekte, wie das Pumpspeicherkraftwerk Atdorf. Die grüne Basis vor Ort ist gegen den Bau. Nun soll am runden Tisch verhandelt werden, sagt der BUND. Sind sie dabei?
Ich habe bereits zur Jahreswende gemeinsam mit dem NABU- Landesvorsitzenden Dr. André Baumann einen solchen Runden Tisch vorgeschlagen. Erforderlich ist neben einem unabhängigen Mediator als Leiter eine von Fachleuten unterstützte Begleitung des Klärungsprozesses. Dabei geht es um grundsätzliche Sachfragen, aber auch darum, wie die Interessen der betroffenen Menschen, der Kommunen, des Naturschutzes und der Tourismusbranche besser berücksichtigt werden können.

Wo werden die Gaskraftwerke gebaut, die zukünftig notwendig sind, um die Lücken in der Stromproduktion zu füllen?
Sie werden jetzt von mir keine konkreten Standortvorschläge zu hören bekommen. Wichtig erscheint mir, dass sich die Rahmenbedingungen zum Bau derartiger Anlagen verbessern. Ein solcher Effekt könnte eintreten, wenn die acht stillgelegten AKW nicht wieder ans Netz gehen. Sollte dies so kommen, müsste man über ökonomische Anreize im Rahmen einer Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes nachdenken. Fakt ist jedenfalls, dass wir in Ergänzung zum Ausbau der Erneuerbaren verstärkt flexible Erdgaskraftwerke vorrangig als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen brauchen.

Für das Handwerk sind der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die energetische Gebäudesanierung eine gute Chance.
Lassen Sie mich dazu ein paar Zahlen nennen, die deutlich machen, über welches Potenzial wir hier sprechen: Wir haben in Baden-Württemberg heute einen Bestand von rund 2,3 Millionen Gebäuden. Über 70 Prozent davon wurde vor Inkrafttreten der 1. Wärmeschutzverordnung errichtet. Es kann deshalb nicht wirklich verwundern, dass der Wärmesektor für rund 30 Prozent der CO2-Emissionen im Land – das sind rund 25 Millionen Tonnen pro Jahr – verantwortlich zeichnet. Die energetische Sanierung des privaten Gebäudebestands ist eine der zentralen Herausforderungen, wenn es um Fortschritte beim Klimaschutz geht. Es muss gelingen, die Sanierungsquote, die derzeit bei unter einem Prozent jährlich liegt, mindestens zu verdoppeln. Bei dem jetzigen Sanierungstempo würde das noch bis Ende des Jahrhunderts dauern.

Wie viel Prozent Erneuerbare Energien wird die neue Regierung bis 2020 realisieren?
Die alte Regierung plante mit 20 Prozent. Wir werden hier mit Sicherheit darüber liegen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.