Das Ende einer Ära
Westerwelle nimmt einen emotionalen Abschied – jetzt müssen die Jungstars liefern
Spätestens mit Wolfgang Kubickis Auftritt ist klar, dass hier in der Rostocker Hansemesse nicht viel anbrennen wird. »Tatsächlich«, sagt der notorische Quertreiber und angeblich schärfste Widersacher Westerwelles, er wolle dem scheidenden Vorsitzenden danken. Kurze Kunstpause. »Die FDP hat ein Markenproblem, es heißt nicht Guido Westerwelle«, erteilt Kubicki dann allen Debatten über dessen Verbleib im Auswärtigen Amt noch einmal eine Absage. Wer sich nun eine solche Debatte von außen aufdrängen lasse, der stelle »den Wert der Partei« in Frage. Verstehen muss man das nicht. Permanent funkte der Freizeit-Käpt'n von der Förde dazwischen – und jetzt, wo alle endlich mal reden wollen, drängt er auf den Abbruch der Debatte. Auch der zweite mutmaßliche Chefkritiker, der höfliche Juli-Chef Lasse Becker, zeigt sich einigermaßen besänftigt nach der Ansprache des Außenministers. Er bleibe zwar dabei, dass das Problem auch bei den Köpfen gelegen habe – benutzt aber wohlweislich die Vergangenheitsform. Und Becker soll auch der einzige bleiben, der die jüngste Phase hektischer Personalentscheidungen unter dem neuen Chef Philipp Rösler aufs Korn nimmt: Dies habe ihn »an eine Reise nach Jerusalem« erinnert, »bei der man keinen Stuhl weggenommen hat.«
Becker spielt auf Röslers Schachzug an, die Zahl der Kandidaten der Zahl der zur Wahl stehenden Mandate anzugleichen. Aber ansonsten ist das Bild übertrieben: Als Guido Westerwelle zuvor zu reden beginnt, braucht er zehn Minuten, um verdienten Weggefährten zu danken, die abtreten oder deren Stern gesunken ist: Cornelia Pieper, Hermann Otto Solms, Silvana Koch-Mehrin, Birgit Homburger, Andreas Pinkwart – es ist auch das Ende einer Ära. Und Westerwelle redet sich in eine Rührung hinein, die den Saal anscheinend ansteckt. Gegen Ende seiner Rede wird Westerwelle auf eine persönliche Art emotional, die sich von der künstlichen Aufregung, die seine politischen Reden ansonsten oft prägen, wohltuend unterscheidet. Dass er selbst ein wenig bewegt ist von dem Moment, zeigt sich, als er den abgesägten Wirtschaftsminister und kommenden Fraktionschef Rainer Brüderle auf der Bühne mit »lieber Reinhard« anspricht.
Von seinen Nachfolgern spricht Westerwelle nicht namentlich, aber in den allerhöchsten Tönen, als habe er sie selbst auch ein bisschen erfunden. In »den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten«, in seinen anderthalb Dekaden also, seien in der Partei »so exzellente Persönlichkeiten herangewachsen«, dass er sich keine Sorgen um die Partei machen müsse. Schon in seiner Begrüßung hatte Westerwelle nicht weiter qualifizierte »Exzellenzen« angesprochen. Zehn Minuten Applaus bekommt er am Ende, und tatsächlich hat er ja recht auch an dem Punkt – und das ist das Problem: Philipp Rösler und besonders der viel gelobte Christian Lindner sind tatsächlich Kinder seiner Ära. Der Lautsprecher-Jahre, der Rechthaberzeit, als die FDP zwar nicht regierte, aber die Rot-Grüne-Koalition in Wirtschaftsfragen vor sich hertrieb.
Reden kann jemand wie Lindner zweifellos, aber jetzt muss er liefern. In Rostock ist das erst mal: Keine Katastrophe. Keine Debatte um Westerwelle als Außenminister, keine Abwatsch-Ergebnisse bei der Wahl Philipp Röslers als Parteichef, Birgit Homburger als erster Stellvertreterin und dem ganzen neuen Paket – und zudem kein politischer Ausreißer mit weltweitem Sprengpotenzial. Besonders der letzte Punkt ist schwierig. In der FDP gibt es eine klare Beschlusslage, nach der ein permanenter Rettungs-Mechanismus für Staaten in Finanznot abgelehnt wird – in der Regierung hat die Partei den Plänen Merkels, die auf nichts anderes hinauslaufen, dagegen zugestimmt. So muss das dynamische Duo Rösler/Lindner im Prinzip eine Position verkaufen, die eben alles andere ist als das in Rostock so viel beschworene klare liberale Profil.
Auch in der Frauenfrage bleibt die Partei hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück. Gleich zwei Rednerinnen riefen nach mehr Frauen in der FDP, auch mit einer Quote. Der Beifall fiel sehr verhalten aus. Dabei ist die Partei, wie eine Delegierte sagte, im Saarland nur aus einem Grund aus dem Parlament geflogen: Weil sie zwar von fünf Prozent der Männern gewählt wurde, aber nur von knapp drei Prozent der Frauen.
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