Dörfer – Perlen des Landes
Internationale Konferenz zeigte deutsche Defizite der Vernetzung
Dörfer sind Perlen, ja, Diamanten des ländlichen Raums, sagte Kurt Krambach, Koordinator des gleichnamigen Gesprächskreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Vorstandsmitglied von ERCA, der Vereinigung der Dorfbewegungen in Europa, die beide für die Organisation der Internationalen Dorfkonferenz verantwortlich zeichneten. Die Stärkung der Dorfgemeinschaft sei Voraussetzung, dass die Dörfer – 35 000 allein in Deutschland – ihre jahrhundertelang gewachsene Selbstständigkeit und Identität nicht verlieren. Aktive Dorfbewegungen sind überlebensnotwendig für die Zukunft des ländlichen Raums, so der Österreicher Franz Nahrada von der »Forschungsgesellschaft – Labor für Globale Dörfer«.
Wie aber können die Bewohner bewegt werden, die Geschicke ihres Dorfes in die eigenen Hände zu nehmen? Welche Verantwortung trägt die Politik? Geht es doch nicht darum, ob, sondern wie die Dörfer weiter bestehen. Die Konferenz zeigte erneut, dass andere Länder Europas Deutschland weit voraus sind in der Organisation von Dorfbewegungen und -parlamenten und vor allem deren Vernetzung. Schweden, Finnland, Estland und die Niederlande sehen da auf lange Erfahrung zurück. In Schweden haben die Dorfbewegungen es geschafft, ein zweijährliches Parlament zusammenzurufen, dass als zivilgesellschaftliche Institution Einfluss auf die Landespolitik gewonnen hat.
In den Niederlanden wurden vor Jahren Dorfentwicklungspläne »von oben« angeregt, so Bert Brokhuis, Präsident der ERCA. Aber erst, wenn Dörfler selbst ihre Vorstellungen wiederfinden, ist es ein sicherer, von ihnen und der Politik akzeptierter Plan. Bessere Verkehrswege, Stärkung der Umwelt mit Landschaftsgestaltung und Abfallbeseitigung, Kinderbetreuungs- und Begegnungsstätten für Jung und Alt gehören zu den Strategien.
Sirje Vinni von der estnischen Dorfaktionsbewegung »Kokudant« berichtete von deren 15 Koordinatoren, ohne die kein Gesetz im Lande verabschiedet wird. Und die finnische Dorfaktionsbewegung SYTY ist inzwischen als »starke Stimme der Dörfer« mit 26 Behörden, Ministerien, Nichtregierungsorganisationen und Hochschulen verzahnt. Ihr Vorsitzender Eero Uusitalo leitet das Staatliche Komitee für Ländliche Politik und sichert so, dass die Programme der Dorfaktionen Gehör finden.
Trotz vielfältiger Initiativen der Dorfbewohner auch in Deutschland fehlt eben hier die bundesweite Vernetzung der Aktionen. Einzigartig ist da die Arbeitsgemeinschaft Lebendige Dörfer im Verein Brandenburg 21 zur nachhaltigen Lokal- und Regionalentwicklung. Sprecher Wolf-Christian Schäfer empfahl, dass Dorfaktionen Direktkandidaten zu Wahlen aufstellen, um sich Gehör zu verschaffen. Oder die Hessische Rhön, wo 70 Prozent der Menschen begeistert die Direktvermarktung der Produkte ihrer Region annehmen und so eigene regionale Wirtschaftskreisläufe fördern. In Hessen, NRW und Rheinland-Pfalz fanden 45 Dorfkonferenzen statt. Die Aktivitäten der Dörfler gehen so weit, dass sie z. B. im 250-Seelen-Ort Bärweiler selber Internetkabel verlegten.
Obwohl die Bedeutung der Landwirtschaft auf dem Lande zurückgegangen ist, lebt kein Dorf ohne sie. Fritz Schumann, Geschäftsführer des Landesbauernverbandes Sachsen-Anhalt, wies auf die Notwendigkeit breit gestreuten Bodeneigentums in den Dörfern hin. In Ostdeutschland gehe der Boden mehr und mehr in die Hände von Kapitalgesellschaften über. Auch Anlagen für erneuerbare Energien kommen vor allem den Großkonzernen zugute, nützen jedoch den Dörfern oftmals nicht. Spaß- und Wohndörfer ja, aber vor allem Produktionsdörfer, in denen die Menschen Arbeit finden und davon leben können.
Dorf und Landwirtschaft wirken im sorbischen Nebeschütz eng zusammen. Die Kommune, einst fast zum Aussterben verurteilt, kaufte ehemals volkseigenen Boden und verpachtet ihn zum eigenen Nutzen weiter. Solarenergie-, Biogasanlage, Sozialwerkstatt entstanden. Lohn ist der Innovationspreis.
Wie können Dörfer lebendig bleiben? Ein weltweites Problem wurde zwei Tage lang in Berlin diskutiert.
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