»Geradezu lehrbuchmäßig«
Eine Neonaziclique terrorisiert Wilhelmshavens linke Szene
Zuletzt haben sie das DGB-Haus beschmiert und den Synagogenplatz in Wilhelmshaven. Sie haben einen jungen Mann, der nach einer Veranstaltung in einem alternativen Zentrum per Bahn nach Hause wollte, so lange durch den Zug getrieben, bis er sich an die Schaffner wandte und schließlich von der Polizei am Zielbahnhof abgeholt werden musste, zu seiner eigenen Sicherheit. Auch nicht viel länger zurück liegt die Aktion gegen eben jenes Jugendzentrum selbst: Autoscheiben gingen zu Bruch, im Garten sitzende Gäste wurden mit Steinen beworfen, faustgroße Granitschotterstücke aus einem Gleisbett.
Polizei tut nur wenig
Kurz davor gab es einen Zwischenfall am Tschernobyl-Infostand der Linkspartei, wo sie einen einsamen Moment abwarteten und massive verbale Drohungen vom Stapel ließen. Und natürlich besuchen sie regelmäßig auch das Büro der örtlichen Linkspartei. Seit vergangenem Sommer ist eigentlich immer mal wieder was, mit den Fenstern zum Beispiel oder mit Aufklebern und Parolen, sagt Klaus Heckenbach, der Schatzmeister des Linkspartei-Kreisverbandes Wilhelmshaven.
»Sie«, das ist eine fünf- bis zehnköpfige Neonaziclique, die seit einigen Monaten mit steigender Intensität die niedersächsische Hafenstadt terrorisiert – während die Polizei dem Treiben fast tatenlos zuschaut. So beschreiben zumindest Heckenbach und Ralph Herrmann und zahlreiche Berichte in Internetforen die Lage. Die beiden Kommunalpolitiker sitzen bei Heckenbach zu Hause und zählen akribisch Situationen auf, in denen die marodierende Clique laut Augenzeugen von der Stadtpolizei gestellt worden sei – und die jungen Randalierer am Ende trotzdem weiterziehen durften.
Einmarsch beim Lokalblatt
Eine dieser Begebenheiten hat Heckenbach selbst erlebt: Eine Nacht im April, wo erst Steine flogen auf das alternative Zentrum, anschließend ein Fester im »Infoladen« zu Bruch ging, zwei Ex-Jugoslawen verprügelt wurden und Heckenbach selbst, von einer nächtlichen Telefonkette geweckt, das Linksparteibüro zu schützen ausrückte. Die herbeigerufene Polizei habe die Personalien der Bande, die tatsächlich alsbald anrückte, festgestellt – und sie dann laufen lassen. Von den vorhergegangenen Taten habe man nichts gewusst.
In der Stadt, sagt Ralph Herrmann, herrsche bei denen, die etwas weiter weg sind von dem unheimlichen Geschehen, noch immer die Meinung vor, man werte die Nazi-Kids durch öffentliche Aufregung und Reaktionen auf ihr Treiben doch nur auf. Die beiden erzählen, die rechte Clique sei sogar schon in der Lokalzeitung »einmarschiert«, um gegen einen Artikel zu protestieren. Das Blatt habe kein Wort darüber verloren. Verstehen könne er das, sagt Herrmann, doch nun sei ein Punkt erreicht, an dem es »nur schlimmer wird, wenn man sie laufen lässt«. Aus Sicht der beiden Linkspolitiker sind all diese Aktionen Teil einer Strategie. »Es ist hier was im Busch«, sagt Heckenbach.
Im April vergangenen Jahres gab es in Wilhelmshaven einen Landesparteitag der NPD – und ein gewisser Christian S. kam in die Stadt. S. war wegen Brandstiftung inhaftiert und ist jetzt auf Bewährung – was ihn offenbar nicht davon abhält, sich als Führer jener Nazi-Straßenclique zu installieren und seine Grenzen energisch auszutesten. Die Antifa hat recherchiert, dass Christian S. am letzten Aprilwochenende auch den »Sozialkongress« der NPD in Bremen besucht hat. Heckenbach sagt, dass die Clique »geradezu lehrbuchmäßig« vorgeht. S. und Gesellen besuchten etwa öffentliche Veranstaltungen und versuchten, »den Tenor zu dominieren«.
Aussteigerin wird bedroht
Was Heckenbach und Herrmann aber am bedenklichsten stimmt, ist eine Besonderheit der örtlichen Linken. Es gibt in Wilhelmshaven eine junge Frau, die vor Jahren aus der rechten Szene ausgestiegen ist und sich dann nach links orientiert hat. Für die Neonazis ein rotes Tuch – und offenbar ein Eskalationsfaktor. Im Herbst wurde bereits das Auto der jungen Frau zerstört. Es hatte einen wirtschaftlichen Totalschaden, nachdem jemand mit Kleinkalibermunition auf Scheiben und Türen geschossen hatte.
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