Die Mauer des Schweigens bröckelt

Im Fall des Todes von Oury Jalloh belastet ein Polizeibeamter erstmals seine Kollegen

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 2 Min.
Im zweiten Prozess zur Aufklärung des in einer Gewahrsamszelle verbrannten Oury Jalloh wirft die Aussage eines beteiligten Polizisten neue Fragen und mögliche Erklärungen auf.

Seit mehr als vier Monaten dauert der zweite Prozess gegen den Polizeibeamten Andreas S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge bereits an. Als damaliger Dienstgruppenleiter soll er für den grausamen Feuertod von Oury Jalloh im Polizeirevier Dessau verantwortlich gemacht werden. Während im ersten Verfahren fast alle beteiligten Polizisten schwiegen, verstricken sich die Zeugen bei der Verhandlung in Magdeburg nun in Widersprüche. Ein erneuter Freispruch wird damit unwahrscheinlicher und eine Aufklärung der Todesumstände des am 7. Januar 2005 in Polizeigewahrsam verstorbenen Asylbewerbers aus Sierra Leone überhaupt erst möglich.

Zurzeit versucht die 1. Strafkammer des Landgerichts herauszufinden, was sich kurz vor Jallohs Tod in Zelle Nummer fünf abspielte. Dabei könnten die Angaben des Polizeibeamten Torsten B. eine Wende einleiten. Denn er sagte aus, seinen Kollegen Hans-Ulrich M. und Udo S. um die Mittagszeit herum noch einmal in der Zelle begegnet zu sein. Sie hätten Jalloh erneut durchsucht. Hans-Ulrich M., der beim ersten Prozess mit Andreas S. freigesprochen wurde, und Udo S. beteuerten hingegen, sie hätten Jalloh am Morgen in die Zelle gebracht und ihn danach nicht mehr aufgesucht. Auch der Angeklagte Andreas S. wurde dazu befragt und gab erstmals an, sich wegen eines Gesprächs mit seinem Vorgesetzten aus dem Büro mit den Schlüsseln für den Gewahrsamstrakt entfernt zu haben. Den Polizeibeamten Hans-Ulrich M. und Udo S. wäre es in dieser Zeit möglich gewesen, sie zu nehmen, ohne dass dies jemand bemerkt hätte.

Diesen Aussagen zufolge könnten die Streifenpolizisten Hans-Ulrich M. und Udo S. etwas mit dem Brand in Oury Jallohs Zelle zu tun haben. Doch dieser Frage wolle der Oberstaatsanwalt Christian Preissner nicht nachgehen, kritisiert die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« (IOJ). Ihr Sprecher, Marc Bellinghausen, meint: »Der Staatsanwalt ist voreingenommen.« Denn er unterstelle nicht nur dem Zeugen Torsten B., sich nicht richtig zu erinnern, sondern vertritt auch stets seine Theorie vom Unfall oder Unglück, bei dem Jalloh sich selbst entzündet habe.

»Wir sind weiter davon überzeugt, das Oury Jalloh ermordet wurde«, sagt Komi Edzro von der IOJ. Auch die Anwältin der Nebenklage, Gabriele Heinecke, hält eine Selbstentzündung auch aufgrund der bisherigen Zeugenaussagen für ausgeschlossen. »Ich habe den Eindruck, dass es nun gelingen könnte, die Mauer des Schweigens unter den Polizeibeamten zu durchbrechen«, so Heinecke. Die Freunde von Oury Jalloh und Unterstützer der Nebenklage fordern bei einer weiteren Demonstration am heutigen 17. Verhandlungstag in Magdeburg die vollständige Aufklärung der Todesumstände.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.