Fesseln für neuen Streit nur leicht gelockert
Fokus auf Regierungsbeteiligung macht blind für eigentliche Veränderungen am Programmentwurf der LINKEN
Parteichef Klaus Ernst hatte am Montag auf Fragen der Journalisten noch unverbindlich, aber stolz erklärt: »Uns ist ein großes Stück Arbeit gelungen.« Inzwischen rüttelt die veröffentlichte Meinung wie gewohnt unbarmherzig an eventuellen parteiinternen Harmoniegefühlen. In ihrem Entwurf rücke die Partei von ihrem bisherigen Kurs der Fundamentalopposition ab, fasste etwa die Tageszeitung (taz) zusammen. Überflüssig zu erwähnen, dass nun neue Unbill vorausgesagt wird, weil die vermeintlichen Anhänger des »bisherigen Kurses der Fundamentalopposition« selbstverständlich längst die Protesttrommeln rühren.
Das mag auch so sein. Tatsächlich jedoch fällt es dem unvoreingenommenen Betrachter schwer, schroffe Kurswechsel gegenüber dem ersten Entwurf zu finden, die einer Seite überdimensionale Vorteile verschaffen würden. Was ins Auge sticht, sind Ergänzungen und neue Gewichtungen, die vom Bemühen um mehr Präzision zeugen. So ist eine Passage zur europäischen Linken hinzugefügt, die nicht nur dem Umfang nach, sondern auch inhaltlich weit über den ersten Entwurf hinausgeht, und die trotzdem niemand als Niederlage Lothar Biskys zu interpretieren auf die Idee kommen würde – immerhin einer der Hauptverantwortlichen für das Papier und damaliger Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken.
Der Komplex zur Bildung weist großflächige Veränderungen auf, ein Minderheitenvotum wird angefügt, das dem Versuch geschuldet ist, einen neuen Abschnitt zum Thema »Deutschland: Eine Klassengesellschaft« einzufügen. Deutliche Ergänzungen hat es auch zum Thema des sozial-ökologischen Umbaus und zur Energiewende gegeben, und Nacharbeiten mit erheblichen textlichen Konsequenzen sind zu Internet und Digitaler Welt zu erkennen. Dies alles bietet Stoff zu spannender Exegese und hat vermutlich mehr Aufwand gekostet als der im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit stehende Passus zu Regierungsbeteiligungen der LINKEN. Auch die Bewertung der Geschichte und gemeinsamen Wurzeln der Partei, die mit der PDS und der WASG zwei sehr unterschiedliche Herkunftsstränge aufweist, scheint erhebliche Arbeit und Diskussionen verursacht zu haben. Vermerkt sind hier wie auch zu den Bemerkungen über das Ziel der Partei, den Demokratischen Sozialismus, mehrere Varianten, die dem Parteivorstand zur Entscheidung weitergereicht wurden. Ob die Passage zur Flüchtlingspolitik, wo »offene Grenzen für Menschen in Not« gefordert werden, oder die Beteiligung an internationalen Polizeieinsätzen, deren Beendigung (nur) gefordert wird, wenn sie »zur Unterstützung von Kriegen und autoritären Regimen dienen« – überall finden sich Formulierungen, die je nach Sicht als Sieg oder Niederlage bei der Durchsetzung von Positionen betrachtet werden können.
Gleichwohl – von öffentlichem Interesse ist derzeit vor allem die Passage zu den »Haltelinien«, die auch gern »rote Haltelinien« genannt werden und Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen der Partei festschreiben sollten. Abgesehen davon, dass sich der Begriff in keiner Textfassung findet, lockert die veränderte Variante nunmehr die Fesseln, sprich den Interpretationsspielraum, nur leicht. Entscheidend dürfte wie bisher der Satz sein, der in beiden Fassungen steht: »Regierungsbeteiligungen sind konkret unter den jeweiligen Bedingungen zu diskutieren.« Der Parteivorstand tritt am Wochenende in Berlin zur Beratung des Entwurfs zusammen.
Regierungsbeteiligung – alte Fassung
Regierungsbeteiligungen der LINKEN sind nur dann sinnvoll, wenn sie reale Verbesserungen und eine Abkehr vom neoliberalen Politikmodell durchsetzen sowie einen sozial-ökologischen Richtungswechsel einleiten ... Die LINKE strebt nur dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir hierdurch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können. Sie wird sich an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt. Darüber hinaus wird sich die LINKE ... nicht an einer Regierung beteiligen, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt. Notwendige Bedingungen sind weiterhin die Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns und der Kampf gegen Lohndumping ...
Regierungsbeteiligung – neue Fassung
Regierungsbeteiligungen der LINKEN sind nur sinnvoll, wenn sie eine Abkehr vom neoliberalen Politikmodell durchsetzen sowie einen sozial-ökologischen Richtungswechsel einleiten. Die LINKE strebt dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können ... An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.
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