Georgien: Völkermord an Tscherkessen
Russland reagiert empört auf Beschluss
Wie es in einer Erklärung des georgischen Parlaments heißt, habe das zaristische Russland »ethnische Säuberungen« auf den Territorien der Tscherkessen durchgeführt. Tschetschenen und vor allem die Tscherkessen waren die führende Kraft im Großen Kaukasuskrieg Mitte des 19. Jahrhunderts. Besiegt wurden sie erst durch die modernen Waffen der Zarenarmee. Die Tscherkessen schickte Alexander II. aus Furcht vor neuen Aufständen kollektiv in die Verbannung, die Deportation der Tschetschenen war anfangs ebenfalls geplant. Das Osmanische Reich nahm die Verfemten mit Kusshand auf und siedelte sie als Wehrbauern an den Grenzen im Osten wie im Westen an, rund eine halbe Million Menschen. Ebenso viele waren zuvor in den fast zwanzigjährigen Kämpfen mit Russland gefallen oder umgebracht worden, Tausende allein vor der Abschiebung in Internierungslagern.
Heute leben in ganz Russland nur noch 80 000 Tscherkessen. Unterstützt von der gut betuchten und eng vernetzten Diaspora – weltweit knapp zwei Millionen –, verlangen ihre Organisationen von Moskau Anerkennung des Völkermords, Entschuldigung und Wiedergutmachung. Eine Petition, die dazu 2005 an Parlament und Präsident ging, beantwortete dessen Generalgouverneur für den südrussischen Regierungsbezirk: Es gebe »im russischen Recht keine Normen für das Prozedere zur Lösung der aufgeführten Probleme«.
Georgien dagegen hatte schon 2008 per Gesetz den von Stalin 1944 nach Zentralasien deportierten meschetinischen Türken die Rückkehr in die Heimat im Südwesten des Landes erlaubt und Moskau damit international vorgeführt. Teile der Volksgruppe fühlten sich in der südrussischen Region Krasnodar massiv diskriminiert. Über die Anerkennung des Völkermords an den Tscherkessen diskutierte das Parlament in Tbilissi seit Herbst 2010, nicht zuletzt, weil Organisationen der Auslandstscherkessen, die Georgien als Investoren umwirbt, drängten.
Der nunmehrige Völkermord-Beschluss sei »bedauerlicher Populismus«, sagte der Chef des Auswärtigen Duma-Ausschusses, Konstantin Kossatschow, am Samstag in Moskau. »Der Führung in Tbilissi geht es nicht um das wirklich tragische Schicksal des tscherkessischen Volkes, sondern sie lebt ein weiteres Mal ihren (antirussischen) Komplex aus«, kritisierte Kossatschow nach Angaben der Agentur Interfax.
Die Resolution dürfte das gespannte Verhältnis Georgiens zu Russland weiter belasten. Hiesige Experten und Politiker werteten sie bereits als Störfeuer für die Olympischen Winterspiele in Sotschi im Jahr 2014. Mit einem Aufschrei hatten Tscherkessenverbände weltweit zu Jahresbeginn auf Pläne Moskaus reagiert, zur Eröffnung der Winterspiele den 150. Jahrestag des Sieges im Großen Kaukasuskrieg mit einer Wiederholung der Siegesparade zu feiern. Noch mehr dürfte Moskau verärgern, dass Tbilissi offen zugab, mit der Anerkennung des Völkermords wolle Georgien seine Beziehungen zu den Völkern im russischen Nordkaukasus weiter ausbauen. Die Resolution könnte so auch ein neues Angebot an die Separatisten sein, über eine Rückkehr in den georgischen Staatsverband zu verhandeln.
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