Der Fluch der gelben Paste
Hilfsorganisationen in Kolumbien sagen dem gefährlichen Klebstoff-Schnüffeln den Kampf an
Die Plastiktüte mit der zähflüssigen, gelblich-ocker schimmernden Paste hält der Junge noch in der Hand. Ruppig schüttelt Padre José González den jungen Mann. Wie in Zeitlupe öffnet der die Augen und starrt den Geistlichen aus kleinen von zahlreichen roten Äderchen umgebenen Pupillen an. »Bóxer« sagt der Padre und deutet auf die Plastiktüte mit dem Klebstoff. Dann flößt er dem etwa 14-jährigen mit den struppigen Haaren etwas zu Trinken ein. Langsam, ganz langsam beginnt der Bursche zu trinken und kommt etwas zu sich. Daraufhin drückt der Padre ihm ein belegtes Brot in die Hand.
Bóxer heißt der in Kolumbien weit verbreitete Klebstoff und das Schnüffeln ist nicht nur in dem mitten im Zentrum von Cali gelegenen Armenviertel Calvario Usus, sondern auch im Rest des Landes verbreitet. »Klebstoff ist die billigste Droge, die es in Kolumbien gibt und in Stadtvierteln wie Calvario ist der Konsum besonders hoch«, erklärt Padre José González. Der schlaksige Padre steht der Gemeinde Santo Rosa, die am Rande des Calvario liegt, vor und hat ein Hilfsprojekt gegründet: die Samaritanos de la Calle, die Samariter der Straße. Die fahren nach für Nacht mit Einkaufswagen und Handkarren durch das Stadtviertel und schenken heiße und kalte Getränke aus, verteilen Essen und versuchen, in Kontakt mit Halbwüchsigen und Obdachlosen zu kommen, die auf Hilfe angewiesen sind. Schlafplätze, Duschen, Kleidung, aber auch Hilfe beim Entzug bietet die Organisation gleich an drei Standorten rund um das heruntergekommene Problemviertel im Herzen Calis, wo sich kaum die Polizei reintraut.
Viertel wie Calvario gibt es viele in Kolumbien. Dort ist fast alles zu bekommen, was verboten ist, von harten Drogen bis zu schweren Waffen. Legendär ist das Cartucho in Bogotá, ein vergleichbares Armenviertel, das nur einige Straßen entfernt vom Präsidentenpalast lag – bis es 2006 abgerissen und neu aufgebaut wurde. »Viele der Bewohner wurden verdrängt und haben sich in anderen Elendsvierteln der Stadt angesiedelt«, erklärt Reinel García. Er ist der Direktor der Hilfsorganisation »Creciendo Unidos«, zu deutsch »Gemeinsam Wachsen«. Die hat im Südosten der Hauptstadt, im Viertel San Cristobal, ihr Zentrum. Derzeit arbeitet die Organisation mit rund 150 Kindern und Jugendlichen von der Straße und versucht, sie aus dem Kreislauf von Armut, Gewalt und Drogenabhängigkeit herauszuhalten beziehungsweise herauszuholen. »Dabei ist die ständige Verfügbarkeit von Bóxer für uns ein ernstes Problem. Viele Kids sind abhängig und die Droge hat eine verheerende Wirkung«, erklärt García.
Die Organisation hat dazu eine detaillierte Studie über die Konsumgewohnheiten in verschiedenen Stadtvierteln Bogotás erstellt, in der auf die Ursachen, aber auch die Folgen des Inhalierens von Klebstoff beziehungsweise der darin enthaltenen Lösungsmittel hingewiesen wird. Bóxer und andere Lösungsmittel dämpfen den Hunger, sorgen dafür, dass man der finsteren Realität entfliehen kann. Durch den Konsum sinkt aber auch der Sauerstoffgehalt im Blut, wodurch sich die Konsumenten nur schwer orientieren können. Viel gravierender sind die langfristigen Schäden, denn die Lösungsmittel zerstören peu à peu die Nieren, die Leber und das Gehirn. »Die Anzeichen dafür können wir hier täglich beobachten«, erklärt Reinel García und macht eine ausladende Bewegung mit dem Arm über die Häuser des Viertels. Regelmäßig ist der Psychologe in den Straßen des Viertels unterwegs und kennt wie nahezu alle Kolumbianer das Bild der Jugendlichen mit der Plastiktüte vor Mund und Nase. Der Klebstoff wird von den Dealern fein säuberlich portioniert angeboten.
Dabei ist der Verkauf vollkommen legal, obgleich allgemein bekannt ist, das Jahr für Jahr etliche Kinder und Jugendliche am Konsum von pegante, wie der Klebstoff auch heißt, sterben. »Es ist durchaus bekannt, dass, wer schnüffelt, nicht alt wird«, erklärt García. »Doch das Problem wird als nicht so wichtig erachtet in einem Land, das sich nach wie vor im Bürgerkrieg befindet«. Dabei wäre es nicht schwer die Zusammensetzung der Klebstoffe, die auf dem kolumbianischen Markt angeboten werden, so zu modifizieren, dass den Kids das Schnüffeln vergeht. Das zeigt das Beispiel des deutschen Konzerns Henkel, der 2006 in Brasilien den Klebstoffhersteller Alba übernommen hat. Dessen Klebstoffe enthielten das Lösemittel Toluol, welches nach der Übernahme ersetzt wurde. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, so zum Bespiel die Beimengung von Senföl oder anderen Stoffen, um das Schnüffeln zu verunmöglichen. Vergällung heißt das im Fachjargon. Der Hersteller von Bóxer, das kolumbianische Unternehmen Escobar & Martínez S.A., hat sich dazu bisher nicht durchringen können. Auf eine entsprechende Anfrage von Reinel García hat das Unternehmen bisher noch nicht einmal reagiert.
Auf dem ganzen Subkontinent dürfte die Zahl die Marke von hunderttausend Schnüfflern deutlich übersteigen und Klebstoff ist deren billigste Droge, so Franz Hucklenbruch. Der Lehrer hat Anfang der 90er Jahre die Casa Alianza, ein Kinderhilfsprojekt in Guatemala aufgebaut. »Straßenkinder, die Pattex und Co. schnüffeln, werden nicht älter als 20 Jahre. Die Lösungsmittel schädigen das Hirn, greifen die Atmungsorgane an, zerstören die Nieren.« Pattex, die Marke aus dem Hause Henkel, war damals auch in Guatemala zu haben, bis Hucklenbruch sich an das Unternehmen und die Medien wandte.
Daraufhin hat Henkel die Zusammensetzung seiner Klebstoffe geändert. »Hochgiftige Lösungsmittel wie Toluol haben wir aus der Produktion genommen und auch bei Übernahmen wie dem brasilianischen Klebstoffhersteller Alba stellen wir die Produktion um«, so Peter Kreft von Henkel. Ein Umdenken, welches dem Unternehmen erst Marktanteile gekostet, aber den Respekt von Kinderschutzorganisationen gebracht hat.
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