»Israel sieht eine Veränderung der eigenen Bedrohungslage«

Steffen Bockhahn über Gespräche mit hochrangigen Politikern aus der Knesset

  • Lesedauer: 6 Min.
Im Mai weilte eine Delegation der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe in Israel. Dabei war auch der Bundestagsabgeordnete der LINKEN Steffen Bockhahn. Mit ihm sprach für ND Roland Etzel.
Steffen Bockhahn
Steffen Bockhahn

ND: Während Ihres Besuchs in Israel war dessen Ministerpräsident in Washington zu Nahostverhandlungen, die mit Spannung erwartet worden waren. Ich nehme an, das war auch während Ihres Aufenthalts Hauptgesprächsthema.
Bockhahn: Natürlich hat der Nahostfriedensprozess unsere Gespräche dominiert. Es war sehr interessant zu beobachten, wie sich die Stimmung in der israelischen Gesellschaft offenbar verändert. Das Vertrauen in den Partner scheint verloren zu gehen. Das sehe ich als das größte Problem an.

Gab es innerhalb Ihrer Delegation Differenzen in der Einschätzung des nahöstlichen Friedensprozesses?
Da gibt es sehr wohl sehr unterschiedliche Ansichten. Wäre auch seltsam, wenn nicht, denn es waren ja alle Fraktionen des Bundestages vertreten. Es gab Mitglieder, die mehr der Position von Netanjahu nahe standen, aber eben auch Leute, die sehr bewusst gesagt haben: Ohne auf ein Aufeinanderzugehen beider Seiten wird es nicht funktionieren können.

Welche Gesprächspartner hatten Sie in Israel?
Mit Regierungsvertretern haben wir nicht gesprochen, aber zum Beispiel mit der ehemaligen Außenministerin Zipi Livni, Chefin von Kadima, der größten Oppositionspartei, und mit Shaul Mofaz, Vorsitzender des Knesset-Ausschusses für Auswärtiges und ehemaliger Verteidigungsminister. Ich habe bei beiden den Eindruck gehabt, dass sie heute mehr auf eine Verhandlungslösung setzen als zu ihrer Regierungszeit. Beide machten sehr deutlich, dass es zwei souveräne Staaten – Israel und Palästina – geben muss. Sie kritisieren die Politik der jetzigen Regierung, weil sie eben nicht der Versöhnung dient. Das betrifft den Siedlungsbau, das betrifft die Perspektive für die Palästinenser.

Was erwartet die Führung der Kadima-Partei?
Insbesondere Zipi Livni hat deutlich gemacht, dass eine palästinensische Staatsgründung nur funktionieren kann, wenn innerhalb der nächsten acht bis zehn Jahre die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Der demografische Umbruch, vor dem die Region steht, lässt eine weitere Radikalisierung der politischen Verhältnisse befürchten. Sowohl die ultraorthodoxen Juden als auch die Araber haben erhebliche Bevölkerungszuwächse durch geburtenstarke Jahrgänge, so dass die radikalen politischen Ränder gestärkt werden. Deswegen ist es umso wichtiger, jetzt zu einer vertraglich vereinbarten Zwei-Staaten-Lösung zu kommen. Zipi Livni hat aber auch gesagt, dass sie selbst große Zweifel hat, ob das gelingen kann.

Acht bis zehn Jahre sind ein sehr langer Zeitraum. Aber es gibt konkrete Fragen, die jetzt mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Zum Beispiel die: Gibt es einen dauerhaften Stopp des israelischen Siedlungsbaus im Westjordangebiet? Wird der palästinensische Staat, der im September dieses Jahres ausgerufen werden soll, von Israel anerkannt werden?
Die Frage nach dem Siedlungsbau ist relativ leicht mit Ja oder Nein zu beantworten Da sagen auch in Israel die einen so, die anderen so. Kadima tritt im Moment für den Stopp des Siedlungsbaus ein – wohlwissend, dass sie das in ihrer Regierungszeit nicht konsequent getan haben. Die israelische Linke ist auch für einen Stopp des Siedlungsbaus, auch für einen Rückbau von Siedlungen. Von der ultrareligiösen Schas-Partei wird man so etwas nicht hören.

Dagegen wird die Staatsgründung von allen, mit denen wir gesprochen haben, zwiespältig betrachtet. Ich vermute, es wird in Israel nichts ändern, selbst wenn es, wovon ich ausgehe, eine große Zahl von Staaten geben wird, die einen ausgerufenen palästinensischen Staat anerkennen. Und damit ist dann wieder die Frage der Wirkungsmächtigkeit dieses ausgerufenen, aber de facto nicht existenten palästinensischen Staates aufgeworfen. Leider.
Als sich die beiden großen Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas kürzlich in Kairo zum Teil versöhnt haben, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die Fatah könne entweder mit Israel Frieden haben oder mit der Hamas. War das auch die Meinung der Leute, mit denen Sie gesprochen haben?

Das israelische Parteiensystem ist sehr stark zersplittert. Aber das haben – mit Schattierungen – alle, mit denen wir gesprochen haben, so gesehen. Es ist Staatsdoktrin in Israel und aus meiner Sicht verständlich, dass man von jedem Verhandlungspartner erwartet, dass er die Existenz Israels akzeptiert und respektiert. Das hat die Hamas bisher nicht in ausreichender Deutlichkeit getan. Sie hat eine kleine Tür aufgemacht, indem sie sagt: Wir würden Israel für die nächsten 99 Jahre akzeptieren. Das ist aber für Israel nicht genug. Das kann kein israelischer Ministerpräsident als dauerhafte Verhandlungsgrundlage akzeptieren.

Sie sprachen von Schattierungen.
Ja. Zum Beispiel hofft man, dass Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas die Hamas zum Frieden zwingen kann. Das ist unter Umständen die einzige Möglichkeit, wirklich wieder in einen Friedensprozess zu kommen. Ich denke, auch die Hamas hat erkannt, dass sich die Ausgangslage im Nahen und Mittleren Osten deutlich verändert hat – und nicht zum Vorteil der Hamas. Aus meiner Sicht sind die westlichen Regierungen aufgefordert, gerade jetzt die Autonomiebehörde und die Fatah von Abbas zu stärken, um ihr das Potenzial zu geben, die Hamas zum Frieden zu zwingen.

Wie haben sich Ihre Gesprächspartner zu Ägypten geäußert?
Im Wesentlichen so wie Netanjahu in Washington. Man wünscht sich, bald eine unter vielen echten Demokratien im Nahen und Mittleren Osten zu sein. Doch wir haben auch gehört, dass die Situation bisher durchaus vorteilhaft war. In Kairo herrschte zwar ein Autokrat und Despot, aber man hatte eine verlässliche politische Situation. Jetzt ist die Gefahr eines unkoordinierten, religiös motivierten Terrorismus, der nicht durch autokratische oder despotische Regimes kontrolliert werden kann, deutlich größer. Das heißt: Israel sieht eine Veränderung der eigenen Bedrohungslage.

Viel hängt davon ab, in welchem politischen Spektrum Israels man sich gerade bewegt; ob Hoffnung auf Demokratisierungsprozesse besteht oder ob nicht eher davon ausgegangen wird, dass Demokratie im arabischen Raum eine unwahrscheinliche Gesellschaftsform ist.

Netanjahu hat in den USA noch einmal klar gesagt, dass sich Israel niemals aus dem Ostteil Jerusalems zurückziehen wird. Das ist ein Standpunkt, der von der EU und damit auch von der deutschen Außenpolitik in dieser Weise nicht geteilt wird. Wie hat sich die Delegation zum Status Jerusalems verhalten?
Wir haben uns zu Jerusalem in der Form verhalten, dass wir beide Teile der Stadt ausführlich besucht haben, dass wir insbesondere durch Ostjerusalem eine Rundfahrt mit einer Organisation gemacht haben, die sich mit genau diesen Teilungsfragen und mit den daraus entstehenden Diskriminierungen intensiv befasst. Die Organisation heißt »Ir Amim«. Wir waren auch direkt an der Mauer, die die palästinensischen Gebiete abtrennt. Aber wir sind auf so einer Delegationsreise als Parlamentariergruppe nicht in der Position, diplomatische Verhandlungen zu führen. Das bleibt Aufgabe der Diplomatie.

Ich denke aber, es ist klar, dass die Position, die Netanjahu bezieht, nicht durchzuhalten ist; auch weil die Frage Jerusalems eine zentrale ist. Drei Weltreligionen auf ein paar Quadratkilometern. Es kann nicht gut gehen, wenn da einer alles beansprucht.

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