»Direkte Demokratie jetzt!«
Hunderttausende »Empörte vom Syntagma-Platz« protestierten in Athen gegen Sparpolitik
Seit knapp zwei Wochen versammeln sich allabendlich in Athen tausende Menschen, um ihrer Wut über die griechischen Verhältnisse und die Politiker, die das Land in die schärfste Krise seit der Militärdiktatur (1967-74) getrieben haben, Ausdruck zu geben. »Wir haben unterschiedliche ideologische Ansätze, doch uns eint die Empörung über das, was geschieht, und die Leidenschaft für Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde«, heißt es in der am 2. Juni von der Vollversammlung der »Empörten« verabschiedeten Resolution. »Wir sind verschieden, aber wir sind und bleiben vereint.«
Wie bei ihren spanischen Vorläufern, den »Indignados« von Madrid, haben sich die »Empörten« in Griechenland innerhalb weniger Tage von einer reinen Protestbewegung zu Keimzellen selbstorganisierter Strukturen entwickelt. Hunderte von Menschen kampieren bereits in Zelten auf dem Platz, etwa 20 Arbeitsgruppen und Komitees wurden gebildet, die sowohl das tägliche Zusammenleben der Tausenden organisieren als auch thematisch an eigenen Lösungsansätzen für Wege aus der Krise arbeiten. Entschieden wird jeden Abend im großen Plenum, das von etwa 21 Uhr bis tief in die Nach hinein tagt. In etwa 20 Bezirken der Hauptstadt haben sich bereits Stadtteilversammlungen gegründet, die ihre Entscheidungen ihrerseits ins Plenum tragen. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen Städten des Landes zu beobachten. »Vergangenen Sonntag haben wir sie erschreckt, diesen Sonntag beginnen sie uns zu fürchten«, kommentierte ein Redner die Wirkung einer derartigen Manifestation des Unwillens direkt vor dem Haus der »Volksvertreter«, von denen sich hier niemand mehr vertreten fühlt. »Diebe, Diebe, nehmt euer Sparmemorandum und verschwindet«, schallt es immer wieder aus zehntausenden Kehlen. Man lauscht den Solidaritätsbotschaften aus Argentinien und Mexiko, auf einer Großleinwand läuft eine Live-Verbindung zu den Protesten in der spanischen Hauptstadt.
Viel Applaus erhält die Botschaft des Arbeitskreises Distomo, der die Begleichung von Entschädigungsforderungen der Opfer der Nazi-Massaker im griechischen Distomo und anderswo fordert. Bevor man spät in der Nacht auseinandergeht, steht bereits der Entschluss für die nächste wichtige Etappe im gemeinsamen Kampf fest: eine symbolische Umzingelung des Parlamentes, wenn dort das neue Sparprogramm der Regierung diskutiert werden soll.
Das stellte Ministerpräsident Giorgos Papandreou am Montagnachmittag im Ministerrat vor. Einige Minister vom linken Flügel seiner Partei bremsen seit Monaten die »Reformen«. Heute will Finanzminister Giorgos Papakonstantinou dann die Parlamentarier der regierenden Sozialisten informieren. 16 Abgeordnete haben bereits Bedenken angemeldet. Morgen soll das Kabinett erneut tagen und die Maßnahmen verabschieden. Danach wird das Parlament das Sparprogramm diskutieren und abstimmen.
Im Gegenzug für die Auszahlung der fünften Rate der bereits gewährten 110 Milliarden Euro von EU und IWF sowie für die Aussicht auf weitere 60 Milliarden Euro Kredite in den folgenden Jahren sollen umfassend Staatsbesitz versilbert, massenhaft öffentliche Angestellte entlassen, staatliche Leistungen in Bildung und Gesundheit gekappt, Tarifverträge abgeschafft und Verbrauchssteuern weiter erhöht werden. Genau dies wollen die »Empörten« verhindern: »Wir bleiben auf den Plätzen, bis all die verschwinden, die uns in die heutige ausweglose Lage gebracht haben: IWF, Regierungen, Banken und alle, die uns ausbeuten. Direkte Demokratie jetzt!«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.