Griechenland muss nicht zahlen
Der Ökonom Giannis Tolios über die Initiative für ein Schuldenaudit
ND: Was steckt hinter der Idee für eine internationale Überprüfung der griechischen Schulden?
Tolios: Das Problem der Staatsschulden wird als ein griechisches präsentiert. Dabei ist diese Krise eine kapitalistische Krise, die die gesamte Eurozone betrifft. Natürlich hat Griechenland Schulden, natürlich haben die griechischen Regierungen der letzten 20 Jahre Verantwortung. Milliarden wurden für Waffensysteme ausgegeben, die uns die produzierenden Ländern aufgedrückt haben. Wir haben eine Olympiade veranstaltet, bei der uns ein teures Sicherheitssystem aufgezwungen wurde, das nicht nötig war. In zahlreichen Korruptionsfällen, bei denen Konzerne wie Siemens mit Regierungsvertretern gemeinsame Sache machten, wurden öffentliche Gelder verschwendet. Aber nicht ganz Griechenland ist schuld, sondern einige, die in den vergangenen 20 Jahren riesige Vermögen angehäuft haben. Und auch andere, die mit den hohen Zinsen und der Spekulation reich geworden sind.
Was sollte mit den Schulden passieren?
Wenn es nach den Gläubigern geht, werden wir alle Forderungen erfüllen und am Ende unseren öffentlichen Reichtum, alle öffentlichen Dienste verkauft, Löhne und Renten gesenkt haben und mit vollkommen leeren Taschen dastehen. Mit einem Euro, der uns daran hindert, unsere Währung abzuwerten und international konkurrenzfähig zu sein. Wir müssten neue Schulden aufnehmen, um unser Außenhandelsdefizit zu bezahlen und zehn Jahre später vor den gleichen Problemen zu stehen, nur dass wir dann nichts mehr zu verkaufen hätten ... Das geht natürlich nicht und deswegen haben wir das Recht, nicht zu zahlen.
Wer gibt Ihnen dieses Recht?
Nach UN-Konventionen muss ein Land seine Schulden nicht zurückzahlen, wenn es für die Erfüllung der Forderungen der Gläubiger seine Universitäten und Krankenhäuser schließen sowie die Zahlung von Löhnen und Renten einstellen müsste. Das war 2001 in Argentinien der Fall. Dort wurden 70 Prozent der Schulden gestrichen. Außerdem muss man danach fragen, wie die Schulden entstanden sind: zum Nutzen des Volkes oder mit Korruption und Verschwendung, wobei das Volk nicht gefragt wurde, die Gläubiger dies aber gewusst haben? Solche Schulden sind illegitim und brauchen nicht zurückgezahlt werden. In Ekuador hat eine Kommission für ein Schuldenaudit 2008 aufgezeigt, dass zwei Drittel davon auf rechtswidrige Weise zustande gekommen waren.
Wie wollen Sie das erreichen?
Die Idee ist, Druck auszuüben, damit eine unabhängige Kommission für ein Schuldenaudit geschaffen und mit Kompetenzen ausgestattet wird. Das ist sicher nicht einfach, aber wir bereiten eine solche Kommission praktisch vor, indem wir eine Bewegung dafür schaffen. Diese fordert gleichzeitig eine sofortige Zahlungseinstellung.
Wer steht hinter der Initiative?
Parlamentarier, Menschen aus gesellschaftlichen Initiativen, Wissenschaftler, Bürgermeister, Journalisten, Künstler. Sie vertreten einen Querschnitt der griechischen Gesellschaft.
Gibt es schon erste Erkenntnisse aus ihrer Arbeit?
Nach ersten Einschätzungen machen die illegitimen Schulden bis zu 75 bis 80 Prozent aus. Wir haben 20 Arbeitsgruppen gebildet, die vieles untersuchen: vom Kauf von U-Booten über Bankdarlehen und überteuerte öffentliche Bauten bis hin zur Steuerhinterziehung.
Dann wird sich Griechenland in Zukunft aber kaum noch Geld leihen können ...
Wenn 75 Prozent der Schulden nicht zurückgezahlt werden müssen, haben wir gar keinen Kreditbedarf mehr. Einfach erklärt: Griechenland zahlt derzeit jedes Jahr 55 bis 60 Milliarden Euro für Zinsen und Tilgung. Damit könnten wir investieren, Arbeitsplätze schaffen, das Volkseinkommen mehren und den Rest der Schulden abbezahlen. Fragen: Anke Stefan
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