Das Gold liegt an der Schiene
Hohe Kupferpreise sorgen für Diebstahlboom in Frankreich
Ende Februar war der Bahnverkehr in den französischen Alpen zwischen Chambéry und Bourg-en-Bresse für sieben Stunden lahmgelegt. Betroffen waren 117 Züge. Da es Wochenende war, saßen 40 000 Wintersporturlauber fest; tausende Autos standen vor geschlossenen Schranken. Auslöser war ein Kabeldiebstahl an der Bahnstrecke. Das große Medienecho trug zur Beschleunigung der laufenden Gespräche zwischen dem Schienennetzbetreiber RFF und der Staatsbahn SNCF bei, in die sich auch die Regierung einschaltete. Binnen weniger Tage kam ein Aktionsprogramm im Umfang von 40 Millionen Euro zustande.
Die Zahl von Kabeldiebstählen entlang der Bahnstrecken hat sprunghaft zugenommen. RFF zählte im vergangenen Jahr 3200 derartige Diebstähle (2009: 1200) und schätzt den materiellen Schaden auf 30 Millionen Euro. Ungleich höher sind die Folgekosten. So gab es dadurch Zugverspätungen von zusammen 5800 Stunden. In Deutschland waren im vergangenen Jahr nach Bahnangaben als Folge von Kabeldiebstählen über 8500 Züge von Verspätungen oder Umleitungen betroffen.
Zugespitzt hat sich das Problem in den vergangenen Jahren durch den Höhenflug des Kupferpreises auf dem Weltmarkt von 2900 Dollar pro Tonne Anfang 2009 auf zeitweilig über 10 000 Dollar; aktuell kostet sie 8900 Dollar. Noch 2007 bei den Verhandlungen zwischen RFF und der SNCF über die laufenden Arbeiten am Streckennetz, die die Staatsbahn im Auftrag des Netzbetreibers ausführt, »erkannten wir das gar nicht als relevantes Thema«, räumt RFF-Präsident Hubert du Mesnil ein. Als dann die Diebstähle zunahmen, vereinbarte man ein Programm im Umfang von 12 Millionen Euro. Dabei ging es vor allem um die Sicherung von Baustellen mit zusätzlichen Zäunen, Überwachungskameras und Wächtern mit Hunden.
Bei dem 30 000 Kilometer langen Streckennetz ist die Vorbeugung gegen Diebstähle wesentlich schwieriger. Hier liegen die Kabel für die Signale, die Zugsicherung, die Betätigung von Weichen und Schranken meist in leicht zugänglichen Betonschächten neben den Gleisen. »In einem Fall hat man gleich 1000 Meter Kabel am Stück mit Hilfe einer an einen Lkw angehängten Winde gestohlen«, weiß SNCF-Präsident Guillaume Pepy zu berichten. Besonders exponiert sind Strecken in Grenznähe, weil die Diebe das Kupfer dann gleich nach Italien, Spanien, Belgien oder in die Niederlande bringen und verkaufen können.
Mit der Gendarmerie hat die SNCF vereinbart, pro Jahr 100 Flugstunden lang Hubschrauber mit Wärmebildkameras zur Überwachung besonders gefährdeter Streckenabschnitte einzusetzen. Doch Diebe in flagranti zu erwischen, ist ohne konkrete Hinweise reiner Zufall.
Das neue Aktionsprogramm soll nun Abhilfe schaffen. Knapp die Hälfte der 40 Millionen Euro wird dafür eingesetzt, »besonders sensible Punkte« wie das Umfeld von Weichen und Stromversorgungsanlagen zusätzlich zu sichern. Mit den restlichen Mitteln werden das Vergraben von Kabeln entlang der Strecken finanziert und die Erprobung technischer Innovationen. Dazu gehört die computertechnische Lokalisierung von Stellen, wo Kabel durchtrennt wurden, sodass man umgehend Polizei in Marsch setzen kann. Viel Interesse findet eine Technik, die das britische Infrastrukturunternehmen Network Rail anwendet: Kabel werden vor dem Verlegen mit einer Flüssigkeit besprüht, die farbig leuchtet, wenn sie mit ultraviolettem Licht angestrahlt wird. Sie wirkt noch, wenn Diebe die Isolierung verbrannt haben, um das Kupfer zu gewinnen.
Aber auch bei den Schrotthändlern will man ansetzen. Seit diesem Jahr verbietet ein Dekret, an Privatkunden für angeliefertes Buntmetall mehr als 500 Euro bar auszuzahlen. Aber Diebe können mehrmals kleinere Mengen verkaufen oder verschiedene Händler aufsuchen. Um den schlechten Ruf aufzubessern, hat der Schrotthändler-Verband Federec vorgeschlagen, eine jährliche Maximalmenge vorzugeben, die Privatkunden verkaufen dürfen. Denkbar wäre zwölf Mal der monatliche Mindestlohn, um beispielsweise den Roma eine Spanne für ihr traditionelles Gewerbe zu lassen. Doch die Regierung hat diese Lösung verworfen, denn dafür müsste eine landesweit vernetzte Datenbank mit allen Schrottverkäufern geschaffen werden. Das war den Behörden dann doch ein zu großer Aufwand.
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