Zu Tode getreten, verbrannt, erstochen

Eine Berliner Ausstellung widmet sich den 156 Opfern rechter Gewalt seit der Vereinigung

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Donnerstag öffnete eine Wanderausstellung über Opfer rechter Gewalt in Berlin ihre Pforten. Dabei wurde wieder einmal deutlich, dass der Streit um die Opferzahlen noch lange nicht beigelegt ist.

Es ist eine beklemmende Ausstellung, die da am Donnerstag in den Räumen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung eröffnet wurde. Auf insgesamt 156 von der Grafikerin Rebecca Forner gestalteten Tafeln finden sich Namen und teilweise auch Fotos von Naziopfern. Auf jeder Tafel wird zudem der Tathergang geschildert. Da wurden Kinder verbrannt, Obdachlose zu Tode getreten und Punks erstochen. Doch die meisten der Opfer tauchen in der offiziellen Statistik nicht als Naziopfer auf.

Seit Jahren schwelt ein makaberer Streit um Zahlen. Waren es nun 156 Menschen, wie die Ausstellungsmacher des Vereins Opferperspektive Brandenburg behaupten, oder doch nur jene 47 Tote, die das Bundesinnenministerium gezählt haben will. Und das, obwohl die Polizei im Jahr 2001 ihre Erfassungskriterien radikal umstellte. Bis dahin wurde nur als rechte Gewalt registriert, was auch als »Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung« gewertet werden konnte.

Dabei handelt es sich im wirklichen Leben oftmals um Grenzfälle. Wenn etwa Brandenburger Neonazis einen Obdachlosen ausrauben und umbringen, dann taucht der Fall nicht in der offiziellen Nazimord-Statistik auf. Dass der Obdachlose sterben musste, weil für vermeintlich Asoziale im Weltbild der Rechtsextremen kein Platz ist, spielt für Statistiker eben keine Rolle.

Sicher könne man »über den einen oder anderen Fall streiten«, räumte Dominique John vom Verein Opferperspektive ein. Doch die faschistische »Negation des Anderen als Mensch«, liege allen in der Ausstellung präsentierten Taten zugrunde, so John. Statistiken hin oder her.

Einer, der weiß, wie sehr die Bundesregierung bemüht ist, die Zahlen kleinzurechnen, ist der Berliner Journalist Frank Jansen. Seit Jahren recherchiert er für den »Tagesspiegel« in Sachen Opfer rechter Gewalt. Viele der in der Ausstellung präsentierten Fälle brachte Jansen als Nazi-Verbrechen ans Licht. In seiner Rede betonte Jansen, dass es »unangemessen« sei, Vereine wie Opferperspektive »mit einer Extremismusklausel zu behelligen«. Die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) angeregte Klausel zielt vor allen gegen linke Gruppen, die sich gegen Rechts engagieren.

Auch Jansen ging noch einmal auf die Diskussion um die Zahl der Todesopfer ein. Bei gemeinsamen Recherchen von »Tagesspiegel« und »Zeit« hätten sich 137 Fälle als klar zurechenbar entpuppt, 14 seien noch »Verdachtsfälle«, so Jansen. Er kritisierte zudem die Zahlenspielereien der Bundesregierung. Schließlich beschädige man die Würde der Opfer, »wenn diese nicht als solche anerkannt werden«, so Jansen. Der Journalist nannte auch einige besonders krasse Beispiele für Nazimorde, die nicht als solche in der offiziellen Statistik auftauchen. Etwa den Fall des Sven K. Der Neonazi hatte im Jahre 2005 auf einem Dortmunder U-Bahnhof einen Punk erstochen. Das Gericht sah hier keinen Mordversuch, obwohl der Stich direkt ins Herz des Opfers ging. Zudem mochten die Richter keine rechten Tatmotive erkennen. Nur kurze Zeit nach seiner vorzeitigen Haftentlassung soll Sven K. an einem brutalen Überfall auf eine linke Kneipe beteiligt gewesen sein.

Und so ist es kein Wunder, dass zwischen den von Jansen ermittelten Fällen und den Zahlen der Regierung eine große Lücke klafft. Die Bundestagsfraktion der LINKEN wollte im April dieses Jahres mittels Großer Anfrage wissen, warum »90 Todesopfer rechter Gewalt« nicht als solche festgestellt werden konnten. Die Bundesregierung muss offenbar genau nachzählen. Die Antwort soll erst im September vorliegen.


Rechte Gewalt im Ruhrpott

Zehn-Jahres-Bilanz einer Stadt im tiefen Westen: Drei erschossene Polizisten. Ein erstochener Punk. Gewaltsame Übergriffe gegen die Mai-Demonstration des DGB 2010, ein drohendes Bombenattentat im vergangenen Sommer. Gefestigte Kameradschaftsstrukuren. Alltägliche Übergriffe und Bedrohungen ...

In Dortmund wundern sich selbst Nazi-Aussteiger, wie folgenlos rechte Gewalt bleibt. Vorgestern machte die Antifa ein Überwachungsvideo öffentlich, das einen Nazi-Überfall auf die linke Kneipe HirschQ zeigt. Die Antifas glauben, die Staatsanwaltschaft verschleppe die Ermittlungen.

Eine Frau gewürgt, ein Kinderwagen umgestoßen, rassistische Beleidigungen: Am Samstag machten in Dortmund zehn Neonazis Jagd auf dunkelhäutige Frauen – in der U-Bahn-Linie 44. Einige der Täter sind einschlägig polizeibekannt. In Bochum gestand in diesen Tagen der NPD-Kader André Zimmer vor dem Landgericht, mehrere Brandstiftungen begangen und versucht zu haben, sie Antifaschisten in die Schuhe zu schieben.

Vor zwei Wochen stand eine 17-Jährige vor dem Amtsgericht Bochum. Zur Last gelegt wurde ihr das Überkleben eines Nazi-Aufklebers – respektive: die »unerlaubte und dauerhafte Veränderung von Gegenständen und des Stadtbildes«. Marcus Meier

Die Ausstellung »Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland« läuft bis zum 23.06. in den Räumen der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung in der Hiroshimastraße 17.

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