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Warum erinnert sich nur die LINKE?
Gesine Lötzsch über den größten Befreiungskrieg und Antifaschismus / Die Vorsitzende der LINKEN lädt am Sonntag (10 Uhr) zum Gedenken in die Berliner Volksbühne; Eintritt frei
ND: Warum ist die LINKE die einzige Partei hierzulande, die des 70. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion gedenkt?
Lötzsch: Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wird von der Bundesregierung, aber auch von SPD und Grüne immer noch mit den trüben Augen der kalten Krieger betrachtet. Der größte Befreiungskrieg in der Menschheitsgeschichte steht in der Bewertung der anderen Parteien noch hinter dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 oder dem Mauerbau. Doch wie kann man den 50. Jahrestag des Mauerbaus begehen, ohne an den Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion zu erinnern? Historische Zusammenhänge werden gesprengt. So pflegt man alte Feindbilder und begründet aktuelle Politik. Das ist gefährlich. Wer an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion erinnert, wirft auch aktuelle Fragen auf: Was haben deutsche Soldaten in Afghanistan zu suchen? Wird am Hindukusch wirklich unsere Freiheit verteidigt?
Was bewegt Sie, wenn Sie an den Krieg vor 70 Jahren denken?
Es wird gern behauptet, dass der Antifaschismus in der DDR verordnet worden sei. Das ist nur die halbe Wahrheit. Er musste nach diesem furchtbaren Krieg verordnet werden. Doch der Antifaschismus wurde für viele Menschen zu einer Herzenssache, bei aller Kritik an der Art und Weise der Vermittlung oder auch am großen Zapfenstreich Unter den Linden in Berlin und an der vormilitärischen Ausbildung in Schulen und Universitäten. Noch heute zeigen Umfragen, dass mehr Ostdeutsche Kriege ablehnen als Westdeutsche. Die Ursachen dafür liegen auch im verordneten Antifaschismus, der im Wesen immer antimilitaristisch war. Ich bin sofort bereit, im Bundestag für jede »Verordnung« zu stimmen, die Angriffskriege verbietet.
Sehen Sie Defizite im öffentlichen Erinnern des deutsch-faschistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieges?
Seit Jahren besuche ich mit Jugendlichen Stätten des antifaschistischen Widerstandes und der faschistischen Massenvernichtung in ganz Europa. In Griechenland sprachen wir mit dem Nationalhelden Manolis Glezos, der über den Befreiungskrieg gegen die Wehrmacht berichtete. Ein junger deutscher Geschichtsstudent sagte ihm, dass er an der Universität davon noch nichts gehört hätte. So geht es sehr vielen Deutschen, die über die »Bild«-Zeitung ihre geistlose Munition gegen die Griechen beziehen und nichts, aber auch gar nichts über diese Geschichte wissen oder wissen wollen. Eigentlich müsste jede Schülerin und jeder Schüler eine solche Reise machen, um gegen die »Bild«-Hetze, die sich jetzt gegen die Griechen und ein anderes Mal gegen die Spanier, Italiener oder Russen richtet, immun zu werden. Glücklicherweise gibt es viele engagierte Menschen, die unabhängig von offizieller Politik die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den deutschen Überfall auf die Sowjetunion wachhalten. Ich denke da auch an die beeindruckende Wehrmachtsausstellung, die einen Mythos brach.
Sind die heutigen deutsch-russischen Beziehungen normal?
Ich halte sie für völlig unnormal. In Anbetracht von 27 Millionen getöteten Menschen und Millionen Quadratkilometern verbrannter Erde wäre es die Pflicht jeder Bundesregierung, ein besonderes Verhältnis zu den Völkern der ehemaligen Sowjetunion zu pflegen. Mir ist völlig unverständlich, dass in einem Land, in dem die individuelle Freiheit als höchstes Gut im Grundgesetz gepriesen wird, die Befreier vom Faschismus, die unser Grundgesetz ja erst möglich gemacht haben, so demütigend behandelt werden. Das ist beschämend. Wir wollen mit der Matinee am Sonntag ein Zeichen setzen.
Fragen: Karlen Vesper
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