Ist der Euro noch zu retten?

Heike Joebges: Nach Bewältigung der akuten Krise muss die Wirtschaftspolitik stärker koordiniert werden

  • Lesedauer: 4 Min.
Am Donnerstag und am Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zum Gipfel in Brüssel. Eigentlich stehen die Wirtschaftspolitik, Migration und die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien auf der Tagesordnung. Doch nun werden die griechische Schuldenkrise und ihre Auswirkungen auf den Euro breiten Raum einnehmen. Heike Joebges ist seit 2010 Professorin für Allgemeine Volkswirtschaftslehre (Schwerpunkt International Economics) an der Fachhochschule Technik und Wirtschaft in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Finanz- und Währungskrisen sowie die (Handels-)Ungleichgewichte im Euroraum. Über die Griechenland und Euro-Krise sprach mit der 39-Jährigen für ND Martin Ling.
Heike Joebges
Heike Joebges

ND: Die griechische Schuldenkrise sollte ursprünglich nicht Gegenstand des EU-Gipfels sein. Nun kommen die Staats- und Regierungschefs nicht umhin, sich mit einem neuen Hilfspaket zu beschäftigen. Ist die andauernde Krise in Hellas eine Gefahr für den Euro als Gemeinschaftswährung?
Joebges: Ja, und zwar vor allem wegen der drohenden Ansteckungseffekte auf andere Länder wie Irland, Spanien, Portugal und Italien sowie möglicher Kettenreaktionen durch Forderungsausfälle auf das Bankensystem des Euroraumes. Denn europäische Banken inklusive der Europäischen Zentralbank halten hohe Volumina der von Zahlungsausfall bedrohten griechischen Staatsanleihen.

Sind immer neue Hilfspakete in Kombination mit Sparhaushalten ein adäquater Weg aus der Krise?
Sie stellen definitiv keine optimale Antwort auf die Krise dar und werden auch nur bei viel Glück am Ende erfolgreich sein. Es gilt das Prinzip Hoffnung, dass die Wirtschaft in den betroffenen Ländern so sehr anspringt, dass sie in der Lage sein werden, ihre Schulden zu bedienen und zu reduzieren.

Inwiefern ist ein Investitionsprogramm für Griechenland notwendig, weil ein Sparhaushalt eher selten dazu führt, dass die Konjunktur wieder anspringt?
Das wäre sicher sinnvoll, wie alles, was dazu beitragen würde, die Wirtschaft in Griechenland wieder zu beleben. Nur bei einem Wirtschaftsaufschwung würden die Steuereinnahmen steigen und die krisenbedingten Sozialausgaben wieder sinken. Nur dann hätte Griechenland wirklich eine Chance, die Schulden zu reduzieren.

Was ist von einer Schuldenreduktion zu halten?
Ein Teilverzicht der Gläubiger würde Griechenland helfen, die Schuldenlast abzubauen. Wegen der drohenden Ansteckungseffekte auf weitere Länder und Kettenreaktionen auf das Bankensystem ist es aber leider zu riskant, private Gläubiger dazu zu zwingen. Deshalb wird es darauf hinauslaufen, dass der Anteil der öffentlichen Geldgeber – Internationaler Währungsfonds, EU-Länder – immer weiter erhöht wird und diese letztlich zumindest die Rückzahlung zeitlich immer mehr strecken werden und am Ende möglicherweise auf vollständige Rückzahlung verzichten müssen.

Böte ein Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion einen Ausweg aus der Krise?
Nein, weder für Griechenland noch für die in der Währungsunion verbleibenden Länder. Für Griechenland würde eine neue Währung zwar eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Exporte bedeuten. Gleichzeitig würde aber die bisherige Euro-Verschuldung – gemessen in der neuen Währung – zu einer viel höheren realen Schuldenlast führen. Da gleichzeitig mit massiver Kapitalflucht zu rechnen wäre, wäre die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands auf Jahre hinaus belastet. Und für die anderen Länder der Währungsunion dürften sich die Krisen in Irland Portugal, Spanien und Italien verstärken, da Anleger für das Risiko einer ähnlichen Entwicklung wie in Griechenland hohe Zinsen als Kompensation verlangen würden. Der Euroraum hätte nichts gewonnen.

Die Schuldenkrise ist nicht auf Griechenland beschränkt, sondern trifft auch einstige Musterschüler wie Irland, das jahrelang Haushaltsüberschüsse aufwies. Worin liegen die zentralen Ursachen der Euro-Krise?
Zentrale Ursache ist, dass man die ökonomische Auseinanderentwicklung der einzelnen Länder im Euroraum zugelassen hat. Weder die Kriterien aus dem Maastricht-Vertrag noch der später verabschiedete Stabilitäts- und Wachstumspakt SWP reichen für eine kohärente Entwicklung aus. Noch waren die Anstrengungen und der politische Wille auf nationaler Ebene ausreichend, der offensichtlich starken Auseinanderentwicklung bei Lohn- und Preisentwicklung und bei den Leistungsbilanzsalden wirtschaftspolitisch entgegenzusteuern.

Wie bewerten Sie den dauerhaften Stabilisierungsmechanismus ESM, der Krisenländern mit Notkrediten helfen soll?
Notwendig, aber nicht ausreichend. Der ESM wäre wirkungsvoller bei glaubwürdigem und einheitlichem politischen Willen, den Euroländern beim Schuldenabbau zu helfen. Dazu müsste auch deren Wachstum gefördert statt durch Sparpakete abgewürgt zu werden.

Was ist vom Euro-Plus-Pakt zu halten, der im März verabschiedet wurde und eine enge Abstimmung in Sozial-, Steuer- und Haushaltspolitik vorsieht? Sinnvoll?
Das geht in die richtige Richtung, aber es besteht die Gefahr eines zahnlosen Tigers, wenn es bei Appellen an die Mitgliedsländer bleibt.

Bedarf es einer europäischen Wirtschaftsregierung?
Das wäre zumindest eine Möglichkeit für eine stärkere wirtschaftspolitische Koordination. Es müsste nicht zwingend eine Wirtschaftsregierung sein, aber es bedarf klarer, verbindlicher Regeln für eine stärkere wirtschaftspolitische Koordination, die diese Auseinanderentwicklung der Wirtschaftsräume begrenzt. Das ist für eine dauerhafte Stabilität des Euro unumgänglich.

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