Kunsträume und Manifeste

Berlinische Galerie präsentiert Sammlung neu und erinnert an den Avantgardisten Lajos Kassák

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Zeitschrift MA, Wien, 1924
Zeitschrift MA, Wien, 1924

Die Berlinische Galerie hat zum Sommerbeginn zwei Schauen eröffnet. Eine ist parallel zur Multimediainstallation im Collegium Hungaricum (CHB) dem Avantgardekünstler und Multitalent Lajos Kassák (1887-1967) gewidmet. Die andere gilt dem Sammlungsbestand, der nach Umbau der oberen Etage dort neu präsentiert wird. Derweil also in einem der Räume im Untergeschoss des Landesmuseums an eine der energetischsten Persönlichkeiten der ungarischen Kultur erinnert wird, an einen Vordenker und Einmischer, wird im Obergeschoss ein, ja, moderner Klassizismus als geeignetes Architekturkonzept zur Präsentation der Sammlung vorgestellt.

Zwanzig Prozent mehr Platz – das war die Ausgangsüberlegung für den reichen Bestand des Museums, das obendrein mit einer agilen Ausstellungstätigkeit seine Räume bespielt. Jahrelang hatte das Landesmuseum kein eigenes Dach über dem Kopf aber dank seiner Sammlung, die an diversen Orten gezeigt wurde, so der seit einem Jahr amtierende Direktor Thomas Köhler, blieb die Kunst immer im Blick der Öffentlichkeit bis das Glaslager in Kreuzberg zum Domizil wurde. Die Kreuztreppe, die Unter- und Obergeschoss verbindet, wurde zum Symbol des offenen Hauses, das unten mit erstaunlichen Raummaßen aufwartete und oben mit schwierigen Stellmöglichkeiten zu kämpfen hatte. Offenheit, Blickachsen, schräge Wände, spitze Winkel bestimmten den Kunstparcours durch Brücke, Dada, Neue Sachlichkeit, die Nachkriegsmoderne, Neue Figuration bis in die Gegenwart.

Nun wurden vom kanadisch-berlinischen Architekten David Saik, der an renommierten internationalen Museumsbauten mitgewirkt hat, die Wände gerade gesetzt, die Raumachsen dem Untergeschoss angepasst, die Linien in strengeres Maß gerückt und Grau und Blau als farbiges Leitsystem aufgebracht.

Kabinett für Kabinett (17 insgesamt) entfaltet sich der Berliner Kunstraum so durch die Jahrzehnte. Innerhalb der sortierten Räume findet man dialogische Hängungen und pointierte Gegenpositionen: Zilles Fotografien wie »Junge mit kleinem Mädchen huckepack...« etwa gegenüber Anton von Werners Riesengemälde »Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals im Tiergarten« (1908) oder Fotografien von Industriebauten und Aufmärschen aus den 30er Jahren.

Man kann hinüber und herüber schauen, der Eindruck aber bleibt, dass hier ein sachlich-moderner Industriebau »verschinkelt« wurde, obwohl sich der Architekt auf den Minimalisten Donald Judd und dessen Konzept vom idealen, ruhigen Raum bezieht. Die Berlinische Galerie zeigt sich erwachsen und kann sich so deutlich musealer präsentieren. Dabei verband man den Charme des Hauses gerade mit dem Offenen, Spielerischen, etwas Improvisierten. Die ästhetischen Brüche der Metropole prallten elektrisierender aufeinander, tote Winkel, staubiges Nichts eingeschlossen. Jetzt breitet sich die Kunstgeschichte der Metropolen raumchronologisch aus und zeigt genreübergreifend, dass es selten nur einen ästhetischen Mainstream, oder gar ein Herrschaftsdiktat an Kunstäußerung gab.

Dazu also Kassák im Untergeschoss – eine von Franciska Zólyom kuratierte Kabinettausstellung. Es passt zu den Fragen, die man sich im Haus zu stellen hat. Welche ästhetischen Manifeste, welche der Vorschläge der Avantgarde haben die Berliner Kunst, die europäische Kunst, die Gesellschaft überhaupt geprägt? Zweifelsohne gehören die Denkangebote des in Europa intellektuell vernetzten ungarischen Künstlers dazu.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Jahre des Wiener Exils (1920-1926) und sein Manifest der Bildarchitektur, das Kassák mit einer emanzipatorischen Wahrnehmungs- und Ausdrucksform verband. Porträtmalerei von Freunden und Zeitgenossen des Künstlers, eigene konstruktivistische Blätter zum Thema Bildarchitektur, Plakate, Zeitschriften, Fotos – etliche der gezeigten Werke kommen aus einer Pariser Privatsammlung. So wie sich Verhältnisse radikalisierten, so spitzten sich auch Bildsprache und Texte zu. Die rote Diagonale mag das nachhaltig wirksamste Bildzeichen der osteuropäischen Avantgardisten gewesen sein. Es findet sich hier in Drucken, Ölgemälden und Schriften.

Der Autodidakt Kassák, der ob seiner Vielseitigkeit und unmittelbaren kulturpolitischen Einmischung als neuer Künstlertyp galt, trat um 1910 mit experimenteller Lyrik ins Budapester Kulturleben ein, eher er zur Zeit der Räterepublik gemeinsam mit Emil Szittaya die Zeitschrift »A Tett« (»Die Tat«) herausgab, die wegen ihrer antimilitaristischer Zielrichtung nach nur einem Jahr verboten wurde. Mit der Zerschlagung der Räterepublik landete Kassák im Gefängnis. Später konnte er wie so viele nach Wien emigrieren, wo er gemeinsam mit László Moholy-Nagy 1921 das »Buch neuer Künstler« herausgab und mit einer ebenso faszinierend wie irritierend wirkenden Leidenschaft die Vision eines »Neuen Menschen« formulierte. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »MA« (Heute), versammelte er Künstlerautoren wie Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, Tzara, El Lissitzky und Alexander Archipenko.

Die Ausstellung rückt mit einer Vielzahl von Artefakten den Aspekt der Internationalität ins Zentrum und zeigt, wie die Avantgarde zwischen Zürich, Wien und Berlin kooperierte und eine gemeinsame Bildsprache generierte, um einer linksbürgerlichen politischen wie kulturell-ästhetischen Aufbruchstimmung in Europa auch nach dem Krieg weitere Impulse zu verleihen. Der Konstruktivismus wie eine enorme Dynamisierung der Bildsprache, prägnante Schriften – inhaltlich wie formal – galten als ästhetisches Werkzeug zur Durchsetzung einer modernen Welt.

Im Collegium Hungaricum soll eine informative wie emotionale Multimediainstallation vor allem junges Publikum mit Lajos Kasák bekannt machen. Rote und schwarze Druckbuchstaben, prasseln auf den Betrachter wie Sternschnuppen herab, ehe er selbst per Monitor Informationen ansteuern kann: biografische Daten, Filme und Fotos, Dokumente zu Künstlerkreisen und Publikationen.

Bis 17. Oktober, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128

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