Der geplatzte Traum vom großen Los

Ein Jahr nach der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika fällt die wirtschaftliche Bilanz ernüchternd aus

  • Kristin Palitza, Kapstadt
  • Lesedauer: 7 Min.
Die erhofften Gewinne sind ausgeblieben – das stellen die Südafrikaner ein Jahr nach der Fußball-Weltmeisterschaft fest. Die in Stadien und Infrastruktur investierten Milliarden rentieren sich nicht. Profitiert haben dagegen die FIFA und ausländische Konzerne.

Das Dröhnen der Vuvuzelas ist abgeklungen. Die Fahnen sind aus den Straßen verschwunden. Ein Jahr nachdem das Land dem Fußballfieber erlag, stellt sich Südafrika eine entscheidende Frage: Hat die WM die Profite erzielt, die man sich erhofft hatte? Ein Gewinner steht fest. Der Weltfußballverband FIFA hat mit Südafrikas WM Einnahmen gemacht wie nie zuvor. Der Fußballverband mit Sitz in der Schweiz strich 2010 gute drei Milliarden Euro ein. 53 Prozent mehr als in Deutschland vier Jahre zuvor.

Südafrika war fest versprochen worden, ebenfalls von dem Event zu profitieren. Doch jetzt ist die Blase geplatzt. Das Land hat Milliarden aufgewandt, aber die Renditen blieben aus. Stattdessen haben europäische und asiatische Konzerne – und natürlich die FIFA selbst – kräftig abgesahnt.

Die FIFA ist weg und fein raus

Südafrika hätte mehr mit der FIFA verhandeln sollen, heißt es nun. Stattdessen ließ die südafrikanische Regierung die FIFA das Land für ein paar Wochen übernehmen. Der Verband machte viel Geld und reiste ab. Die Einnahmen von Fernsehübertragungen, Marketing und Kartenverkauf nahmen Sepp Blatters Leute mit.

Dabei war die WM eine tolle Feier. Südafrika bewies der Welt, dass es ein globales Ereignis auf die Beine stellen kann. Und zwar reibungslos. Nur der wirtschaftliche Erfolg, den das Entwicklungsland so dringend gebraucht hätte, blieb aus.

Die FIFA, Südafrikas Regierung und alle anderen, die sich für Südafrika als Gastland eingesetzt haben, wollen von Kritik an der WM allerdings nichts hören. Die wirtschaftlichen Vorteile werden sich erst auf lange Sicht zeigen, argumentiert man. Das positive Image, das sich Südafrika durch die hervorragende Organisation der WM erarbeitet hat, könne außerdem nicht finanziell gemessen werden. »Das Land hat sich neu positioniert und zum Markenzeichen gemacht«, argumentiert der südafrikanische Fußballmanager und ehemalige Vorsitzende des WM Organisationskomitees, Danny Jordaan.

Vor allem habe Südafrika seinen Ruf als gefährliches Dritte-Welt-Land abgelegt. »Vor der WM stand unser Image auf dem Spiel. Ein britischer Journalist schrieb, dass man für eine Südafrikareise vor allem eins braucht: eine kugelsichere Weste. Doch am Ende der WM schrieb derselbe Journalist, dass die WM eines der sichersten Großereignisse war«, erzählt Jordaan.

Dass die WM Südafrikas Nationalstolz und Einheitsgefühl gefördert hat, will niemand bestreiten. Zum ersten Mal seit dem Abtritt Nelson Mandelas fühlten sich Südafrikaner wieder als Regenbogennation. Eine von Beratungsdienstleister Grant Thornton durchgeführte Umfrage bestätigt dies statistisch: 91 Prozent der Befragten sagten, die WM habe ihr Land, in dem Rasse noch immer eine große Rolle spielt, vereinigt.

Auch die Besucher waren begeistert. Das Marktforschungsunternehmen African Response fand heraus, dass 92 Prozent aller WM-Touristen Südafrika Freunden und Familie als Reiseziel empfehlen würden. 96 Prozent würden gern wiederkommen.

Wirtschaftswissenschaftler bezweifeln jedoch, dass sich dieser positive Effekt im Bruttosozialprodukt widerspiegeln wird. »Südafrika hat ein unglaublich affirmatives öffentliches Bild von sich geschaffen. Dies könnte eventuell Handels- und Investitionsentscheidungen in kommenden Jahren beeinflussen. Oder auch nicht«, meint der Ökonom und Direktor der Wirtschaftsforschungsfirma Econometrics, Tony Twine.

Bislang gibt es keine handfesten Beweise, dass die WM Wirtschaftswachstum gefördert oder Arbeitsplätze geschaffen hat. Im ersten Jahr nach der WM gab es kaum neues Interesse ausländischer Investoren. Und die rund 130 000 Jobs, die in Südafrika im Vorfeld der WM geschaffen wurden, waren temporär. Sobald die Stadien gebaut waren und die Mannschaften abreisten, gingen sie verloren.

Millionen wohnen noch in Elendshütten

Dennoch will Südafrikas Regierung die 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum, die das Land Ende 2010 verbuchen konnte, der WM zugute schreiben. Auch die die Grant-Thornton-Forscherin Gillian Saunders behauptet, die 3,4 Milliarden Euro, die über vier Jahre für die WM ausgegeben wurden, hätten »maßgeblich zu Südafrikas Bruttoinlandsprodukt beigetragen«. Tony Twine sieht das anders: »Es ist unmöglich, den Anstieg im Bruttoinlandsprodukt der WM zuzuschreiben. Das ist eine willkürliche Annahme.« Es habe andere Faktoren gegeben, die das Wirtschaftswachstum in 2010 beeinflussten.

Zu den messbaren Erfolgen der WM gehört, dass Südafrikas lange vernachlässigte Infrastruktur verbessert wurde. Das Ergebnis waren fünf neue Fußballstadien, neue Buslinien in Johannesburg und Kapstadt sowie ein internationaler Flughafen in Durban. Auch Straßen und das Kommunikationsnetz in Städten, in denen Spiele stattfanden, wurden aufgemöbelt. Für zusätzliche zwei Milliarden Euro baute man den Hochgeschwindigkeitszug »Gautrain« zwischen Johannesburg und Pretoria.

Doch was macht Südafrika, jetzt nach der WM, mit seinen riesigen Stadien? Saunders glaubt, Johannesburgs Soccer City und Kapstadts Stadium würden sich auf lange Sicht rentieren. Sie werden schon jetzt als Konzerthallen für internationale Stars wie Neil Diamond, U2 und Coldplay genutzt sowie für Fußball- und Rugbyspiele. Dass auch die kleineren WM-Stadien ihre Unterhaltungskosten selbst finanzieren können, sei allerdings unwahrscheinlich. Südafrikas Steuerzahler sind besorgt, dass sie die Millionen, die es kostet, die Stadien instand zu halten, letztendlich selbst tragen müssen.

Aus rein sozialpolitischer Sicht habe die WM für Südafrika daher keinen Sinn gemacht, behauptet der Rechtswissenschaftler Robin Palmer. Ein Entwicklungsland könne es sich einfach nicht leisten, ein Weltevent wie die WM auf die Beine zu stellen. Anstatt Stadien zu bauen hätte die Regierung das Geld lieber in gemeinnützige Projekte stecken sollen.

»Die WM-Millionen hätten für sozialen Hausbau genutzt werden können. Stattdessen, haben wir in Prestigeprojekte investiert, die nur einer wohlhabenden Minderheit zugute kommen. Und Millionen armer Südafrikaner wohnen noch immer in Elendshütten«, klagt Palmer. Der finanzielle Gewinn der Reichen sickerte nicht in die unteren Schichten durch.

Auch der Präsident des Südafrikanischen Instituts für Bauingenieurwesen, Sam Amod, kritisiert die »sozialen Kosten« der WM. »Die neuen Stadien, Flughäfen und Straßen sind auf Weltniveau. Doch die neue Infrastruktur befindet sich fast ausschließlich in den großen Städten. Wer im Slum oder auf dem Land wohnt, fühlt zu Recht, dass der Großteil aller Südafrikaner zu kurz gekommen und zum Teil glatt ignoriert worden ist.«

Im Bereich Tourismus, einem der wichtigsten Devisenbringer Südafrikas, gab es auch Enttäuschung. Anstatt der erhofften halben Million WM-Besucher kamen nur 300 000. Diese gaben laut der Grant-Thornton-Studie mehr als 800 Millionen Euro aus, was einen erweiterten Effekt auf die Gesamtwirtschaft von 1,85 Milliarden Euro gehabt haben soll.

Entgegen den Hoffnungen stiegen die Touristenzahlen nach der WM allerdings kaum an. Die Nationale Tourismusbehörde Tourism SA macht dafür die Weltwirtschaftskrise mitverantwortlich. Auch jetzt, da es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht, bleibt der Tourismusboom in Südafrika aus. Zahlreiche Nobel-Hotels, die im Vorfeld der WM errichtet wurden, versuchen mit Niedrigpreisen gegen leere Zimmer anzukämpfen. Michael Talias, Geschäftsführer der Southern Africa Tourism Services Association, bleibt dennoch optimistisch: »Die Welt sieht uns in besserem Licht. Jetzt geht es darum, unser neues Image in Geschäft umzuwandeln. Das könnte allerdings etwas dauern.«

Olympia-Bewerbung ad acta gelegt

Vielleicht ist eines am Aufschlussreichsten, um den wirtschaftlichen Erfolg der WM zu bestimmen: Südafrikas Kabinett verkündete kürzlich, dass sich das Land doch nicht als Veranstalter der Olympiade 2020 bewerben wird. Man habe beschlossen, das Geld zu nutzen, um Armut zu bekämpfen und sich auf grundlegende Dienstleistungen wie Wasser- und Elektrizitätsversorgung zu konzentrieren.

Die Regierung hat sich richtig entschieden, meint Twine. Vor allem, da die Olympiade an eine Stadt gebunden ist, während eine WM im gesamten Land stattfindet. »Ich glaube fast, die Regierung hat sich vom Wettbewerb um die Olympiade zurückgezogen, nachdem sie festgestellt hat, dass die WM doch weniger wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hat als erhofft«, sagt der Ökonom.

Die sofortige Akzeptanz dieser Entscheidung von Seiten der Bevölkerung zeigt an, dass dies auch die Auffassung der Allgemeinheit ist. Man kann sein Geld für einen besseren Zweck als für ein weiteres Prestigeunternehmen ausgeben. Vor allem in Südafrika.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.