Wachsender Unmut

Hans Rudolf Vaget schreibt ein großes Buch über Thomas Manns Jahre in den USA

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Die innere Ruhe schien nicht in Gefahr. Er weilte zum vierten Mal in den USA, diesmal länger als sonst, die Vortragstournee verlief, wie er meldete, angenehm und erfreulich, aber dann, kaum in Salt Lake City eingetroffen, kam er am 21. März 1938 auf »die furchtbaren Ereignisse in Oesterreich« zu sprechen. Sie seien, schrieb er, für seine Nerven zu einer »schweren Zumutung« geworden. Hitler herrschte nun auch in Wien. Die Bedrohung wuchs, und er beschloss, seinen Exilsitz im schweizerischen Küssnacht aufzugeben, Europa zu verlassen und Schutz in den USA zu suchen.

Agnes E. Meyer erfuhr es aus seinem Brief, und sie wird von den Überlegungen mit Freude gelesen haben. Die prominente Journalistin war die treueste Seele, die er in Amerika hatte, immer voller Bewunderung, hochherzig und spendabel, immer bereit, ihm die Wünsche von den Lippen zu lesen. Sie war ihm schon 1937, bei seinem dritten Aufenthalt im Land, begegnet, er hatte ihr ein Interview gegeben, das dann, zu seinem Entzücken, gleich auf der ersten Seite der »Washington Post« gedruckt worden war. Seitdem korrespondierten sie. Die »verehrte Freundin«, später gern auch als »liebe Fürstin« umschmeichelt, intelligent, gebildet und couragiert, war die einflussreiche Frau eines Bankiers, der die »Washington Post« erworben hatte und mit ihr leitete, und sie ließ sich nie lange bitten, wenn Rat oder Hilfe gebraucht wurde. Jetzt sorgte sie erst einmal dafür, dass Thomas Mann in den Besitz der notwendigen Einreisepapiere kam und zwischen 1938 und 1940 in Princeton Vorlesungen halten konnte. Allerdings hat es dann doch bis 1944 gedauert, dass er auch amerikanischer Staatsbürger wurde.

Dass wir Agnes Meyer heute so gut kennen (und nicht nur durch die Brille Thomas Manns sehen, der sich im Tagebuch später oft ungehalten, manchmal auch böse gegen ihre Umklammerungsversuche gewehrt hat), verdanken wir einem der besten Kenner des Autors. Hans Rudolf Vaget, Literaturprofessor in Massachusetts, ist beteiligt an der großen kommentierten Werkausgabe bei S. Fischer und hat, von Büchern und Aufsätzen abgesehen, vor beinahe zwanzig Jahren die umfangreiche Korrespondenz mit Agnes Meyer herausgegeben, einen voluminösen Band, der den bislang tiefsten Blick in die amerikanische Exilexistenz Thomas Manns erlaubte. Dieser mustergültigen Edition stellt er jetzt, ebenfalls bei S. Fischer, eine Studie zur Seite, die sich den vierzehn Jahren widmet, die der Schriftsteller in den USA verbracht hat. Sie ist die stärkste biografische Arbeit seit Hermann Kurzkes »Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk« von 1999. Vergleichbares, gar Besseres über jene Zeitspanne gab es bislang nicht.

Am ausführlichsten hat ja noch Klaus Harpprecht in seiner monumentalen Biografie (1995 bei Rowohlt) über das amerikanische Exil geschrieben, nur leidet das Buch streckenweise an der vorlauten Art, mit der sein Autor dem Schriftsteller ins Wort fällt, am heftigsten in den Partien, die sich mit Thomas Manns Amerika-Urteilen befassen. Harpprecht, der lange in den USA gelebt hat, wundert sich immer wieder über die schiefen Ansichten, all die Mann'schen Vorbehalte, die zu den eigenen Erfahrungen nicht passen wollen. Er schüttelt den Kopf, er murrt, er rechnet ihm die politischen Sünden vor oder das, was er für Sünden hält. Er ist sich sicher: Thomas Mann hat sich auf die USA nicht eingelassen.

Das sagt Hans Rudolf Vaget auch, freilich ohne eine Spur der Entrüstung, ohne die oberlehrerhafte Attitüde, die Harpprechts Opus zuweilen durchzieht. Er zeigt uns einen Thomas Mann, dem es gelang, seine Existenz in diesen Jahren zu erhöhen, der, 1936 von den Nazis ausgebürgert, Repräsentant des anderen Deutschland wurde, publizistisch aktiv wie nie zuvor. Der große, wichtige Romane schrieb (darunter »Lotte in Weimar« und »Doktor Faustus«) und seinen Ruhm noch beträchtlich mehrte. Der nach langem Zögern seine Prominenz entschlossen nutzte, um den Kampf gegen die Herrschaft Hitlers zu unterstützen, mit Vorträgen, Aufsätzen, vor allem mit seinen Radioansprachen an deutsche Hörer.

Freilich: Er hat sein Gastland nicht gut gekannt, und er hat es schließlich immer weniger gemocht. Er war dankbar, dass es ihm Zuflucht bot, aber er haderte später vor allem mit den rigiden Methoden, die die innere Sicherheit der Vereinigten Staaten gewährleisten sollten. Als er dies in einer Zeitungsumfrage bekannte, war Präsident Roosevelt nicht mehr am Leben. »Mir ist«, schrieb er Ende April 1945 an Agnes Meyer, »als wäre es das Land nicht mehr, in das ich kam, seit er tot ist.« Er trauerte. Eine Ära war zu Ende gegangen, und was nun kam und sein Verhältnis zu den USA sichtlich trübte, betraf auch ihn und seine Familie.

Im April 1949 wurde Thomas Mann in der Illustrierten »Life« zum ersten Mal bezichtigt, es mit den Kommunisten zu halten. Nun war es offenkundig: All seine Sympathieerklärungen für Amerika und seinen Präsidenten Roosevelt schützten ihn nicht vor der hysterischen Kommunistenjagd, die inzwischen das Klima im Land vergiftete. Das FBI, das vornehmlich Intellektuelle und Schriftsteller bespitzelte, hatte auch ihn in die Ermittlungen einbezogen. Vaget, der die Recherchen des Literaturwissenschaftlers Alexander Stephan dankbar nutzt (»Im Visier des FBI«), hat für sein Buch noch einmal, konzentriert auf Thomas Mann, die Archive durchforstet, und er kommt, konfrontiert mit dem reichen Material, zur Überzeugung, dass der wahre Grund der Beschattung nicht so sehr im Kommunismusverdacht zu suchen ist, sondern in den Aktivitäten gegen Nazideutschland. »Der Antifaschismus der Emigranten …«, schreibt er, »wurde als ein Störfaktor angesehen, jedenfalls solange die Vereinigten Staaten entschlossen waren, sich aus den europäischen Händeln herauszuhalten. Der Antifaschismus Thomas Manns musste daher vielen Amerikanern als übereilt, als vorzeitig und beunruhigend erscheinen.«

Aus den neuneinhalb Druckseiten zum Thema, die Vaget für das Thomas-Mann-Handbuch schrieb, ist ein großes Werk geworden, eine imposante, bestechende Darstellung, die in jedem Kapitel Neues bringt. Das Verhältnis Thomas Manns zu Roosevelt, von den Biografen bisher so gut wie unbeachtet, ist hier überhaupt zum ersten Mal eingehend behandelt. Vorzüglich die Seiten über »die Meyer«, die Gönnerin mit dem fantastischen Scheckbuch. Und was wusste man vorher schon von den Beziehungen zu amerikanischen Universitäten und den vielen strapaziösen Vortragsreisen des Schriftstellers? Oder was von seinen Ansichten über Hollywood, in dessen Nähe er wohnte? Vaget beantwortet solche Fragen in langen, faktenreichen Kapiteln. Und zum Schluss geht der Blick noch hinüber ins Deutschland der Nachkriegszeit und zu den Debatten, die man im Westen über die Emigration führte (und die mancher noch immer gern auf einen Konflikt zwischen Exilanten und innerer Emigration reduziert).

»Wollt ihr Thomas Mann wiederhaben?« Nichts illustriert die Vorbehalte, die strikte Ablehnung der Emigranten im Westen so grell wie eine bayerische Umfrage vom Sommer 1947. Es antworteten achtzig Personen, darunter viele mit einem Doktortitel. Sie waren sich in der Mehrheit einig: Sie wollten ihn nicht. Sie warfen ihm vor, das Land in seinen schwersten Stunden verraten und die deutsche Katastrophe vom sicheren Logenplatz in der Ferne verfolgt zu haben.

Thomas Mann hat die unwirtlich gewordenen USA 1952 verlassen. Seine letzten Jahre verbrachte er wieder in der Nähe von Zürich.

Hans Rudolf Vaget: Thomas Mann, der Amerikaner. Leben und Werk im amerikanischen Exil 1938- 1952. Fischer. 584 S., geb., 24,95 €.

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