Geplante Machtübergabe in Kabul attackiert

Taliban-Kommando stürmte Intercontinental-Hotel / Vermutlich 21 Menschen starben bei Gefechten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausgerüstet mit Sprengstoffgürteln, Panzerfäusten und Maschinenpistolen hat ein Selbstmordkommando in der Nacht auf Mittwoch das schwer bewachte Luxushotel Intercontinental in Kabul gestürmt. Zu der Tat bekannten sich die Taliban, mit denen die USA mit Blick auf den geplanten Truppenabzug Friedensgespräche anstreben.

Das Hotel Intercontinental liegt auf einem Hügel im Westen der afghanischen Hauptstadt. Kontrollschleusen und zahlreiche Wachleute sollen für Sicherheit sorgen. Die Vorsichtsmaßnahmen waren nochmals verschärft worden, denn in Kabul fand eine Konferenz von afghanischen und pakistanischen Regierungsmitarbeitern, Gouverneursvertretern und westlichen Offiziellen statt. Thema des Treffens: die Übergabe der Macht von der NATO-geführten Schutztruppe ISAF an die afghanische Regierung. Auch der deutsche Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, Botschafter Michael Steiner, war zeitweise vor Ort. Zum Zeitpunkt der Attacke war er aber wie sein US-Kollege Marc Grossman bereits abgereist.

Taliban-Sprecher Sabiullah Mujahid betonte, dass ausländische Hotelgäste Ziel des Angriffs gewesen seien. Die Angreifer hätten sich von Zimmer zu Zimmer vorgearbeitet. Sprecher der ISAF und des Kabuler Innenministeriums dagegen erklärten, afghanische Sicherheitskräfte hätten die Aufständischen zunächst auf das Dach gedrängt und dann einen ISAF-Hubschrauber angefordert. Ob die Aufständischen auf dem Dach durch den Beschuss aus dem »Black Hawk« getötet wurden oder sich selbst in die Luft gesprengt haben, konnte ISAF-Sprecher Carsten Jacobson nicht sagen.

Die Rebellen haben nach Kabuler Angaben neun Zivilisten und zwei Polizisten getötet. Unter den zivilen Opfern befänden sich keine Ausländer, teilte das Ministerium in Kabul mit, doch das spanische Außenministerium vermeldete, unter den Toten sei ein Spanier. Afghanistans Geheimdienste sprachen von einem getöteten Türken.

»Alle acht Selbstmordattentäter sind von unseren Sicherheitskräften getötet worden, jetzt durchkämmen die Sicherheitskräfte das Gebiet«, erklärte Siddik Siddiki, Sprecher des Innenministeriums nachdem die Brände in den oberen Etagen des Hotels gelöscht worden waren. Zuletzt war die Rede von neun getöteten Rebellen und 21 Toten insgesamt.

Aufständische hatten bereits 2008 das ebenfalls bei Ausländern beliebte Hotel Serena in Kabul attackiert. Dabei kamen sieben Menschen ums Leben, darunter drei Ausländer. Seit etwa zwei Jahren gilt die afghanische Hauptstadt als befriedete Zone. Der neuerliche Angriff sei ein Zeichen der Schwäche der Taliban, behauptet das afghanische Innenministerium. »Sie können nicht mehr im offenen Gefecht gegen unsere Sicherheitskräfte antreten, deshalb schicken sie jetzt vermehrt Selbstmordattentäter in die Städte oder legen Minen.«

Das sehen Fachleute bei der NATO anders. Sie beobachten eine psychologisch geschickte Kriegführung. Einen Tag vor dem Überfall auf das Hotel legten unabhängige Experten der renommierten International Crisis Group eine Analyse vor, in der deutlich wird, dass sich der Aufstand weit über seine Hochburg im Südwesten ausgedehnt und feste Bastionen auch im zentral-östlichen Raum hat. Dabei ist das afghanische Kernland in und um Kabul, wo rund ein Fünftel der Bevölkerung wohnt, entscheidend für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an inländische Behörden sowie die weitere Entwicklung nach dem geplanten NATO-Abzug Ende 2014.

Ein Grund für die Macht der Aufständischen in den zentralen Bereichen Afghanistans sind Korruption und fehlende Rechtsordnung. So entstehen Schattenregierungen und kriminelle Strukturen quer über alle Fronten – die nicht nur zwischen der Karsai-Regierung und der ISAF auf der einen Seite und den Taliban auf der anderen Seite verlaufen. Um die Macht buhlen auch die Aufständischen vom Haqqani-Netzwerk, die Truppe um den Kriegsfürsten Hekmatyar und andere lokale Größen.

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