Reformer machen Pulverfass Bundeswehr wieder auf

Zustimmung zu gefundenen Kompromissen im Programmentwurf der LINKEN – aber Änderungsanträge mit Sprengkraft

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Links- oder Rechtsverschiebung? Die Bewertungen von orakelnden Parteiexperten machen einen Tag nach Vorstellung des neuen Programmentwurfs der LINKEN die Runde. In der Partei selbst scheint flügelübergreifend Zustimmung zu überwiegen. Korrekturbedarf wird trotzdem angemeldet.
Noch ist der flügelübergreifende Konsens nicht hergestellt.
Noch ist der flügelübergreifende Konsens nicht hergestellt.

Mehrere Politiker des sogenannten Reformerlagers fanden am Dienstag freundliche Worte für den Leitantrag zum Erfurter Parteitag. Das scheint eine Reaktion auf Bewertungen zu sein, die eine Radikalisierung in dem Entwurf sehen. »In einer solchen Situation ist Verständnis für politische Perspektiven notwendig, die sich vor allem aus Protestbewegungen gegen eine Politik des Sozialabbaus durch CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne entwickelten«, formulierte der Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, in einer Erklärung. Stefan Liebich, prominenter Vertreter des Forums Demokratischer Sozialismus, nannte das am Montag vom Parteivorstand vorgestellte Ergebnis ein »korrektes Abbild« des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses in der Partei. Matthias Höhn, Vorsitzender im Landesverband von Sachsen-Anhalt, lobte den Entwurf in der »Mitteldeutschen Zeitung« als Ergebnis konstruktiven und kulturvollen Aufeinanderzugehens der Lager in der Partei.

Die Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst hatten am Montag die Partei aufgerufen, zumindest die mühsam gefundenen Kompromisse zu verschiedenen latenten Konfliktfeldern nicht wieder aufzuschnüren. Die Unzufriedenheit mit mancher Formulierung wird das nicht beheben. Stefan Liebich, der sich am Dienstag erleichtert zeigte, dass der erste, im März letzten Jahres von Lothar Bisky und Oskar Lafontaine vorgelegte Entwurf nicht als sakrosankt behandelt worden sei, wie manche befürchtet hatten, lieferte sogleich das erste Beispiel. Liebich, in der Bundestagsfraktion für Außen- und Sicherheitspolitik zuständig und Mitglied der entsprechenden Ausschüsse im Bundestag, erkennt im außen- und sicherheitspolitischen Teil des Entwurfs »schmerzhafte Mängel«. Und er kündigt Änderungsvorschläge an, die er gemeinsam mit dem Forum Demokratischer Sozialismus durchzusetzen hofft.

Damit ist nicht unbedingt schon ein Hauptkampffeld für den Parteitag im Oktober in Erfurt benannt, aber Streit programmiert. Bundeswehreinsätze nach Artikel 7 der UNO-Charta, also auf Grundlage des Völkerrechts, die Zukunft der NATO und die Haltung zur EU bieten traditionell Zündstoff für die Partei. Schon in der PDS hatten die Konflikte zu wahren Dramen geführt, wie 2000 in Münster, wo Tränen, gegenseitige Gesprächsblockaden, am Ende aber eine strikte Ablehnung aller Arten von Bundeswehreinsätzen für Schlagzeilen sorgten. Diese Position ist immer wieder als Mehrheitsmeinung in der Partei bestätigt worden. Der Streit hat jedoch nie aufgehört, und er hat die Genossen bis in die neue Partei hinein begleitet. Auch in der aktuellen Debatte gab es beispielsweise in der Bundestagsfraktion mehrere gescheiterte Versuche einer Einigung auf eine gemeinsame Position, bevor diese schließlich zustande kam. Darin werden Bundeswehreinsätze jeder Art erneut abgelehnt. Auch im jetzigen Programmentwurf findet diese Position ihren Niederschlag.

»Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden, ihr Einsatz im Inneren ist strikt zu untersagen, die Notstandsgesetze, die den Einsatz der Bundeswehr im Inneren vorsehen und ermöglichen, sind aufzuheben«, heißt es im jetzigen Entwurf. Liebich stimmt für die aktuellen Auslandseinsätze zu, hält eine solche Aussage im Programm – »über Einsätze generell und für alle Zeiten« – jedoch für falsch. Damit sei nicht nur die Hilfe der Bundeswehr beim Oder-Hochwasser, sondern auch der Vorschlag Oskar Lafontaines obsolet. Der einstige Parteichef hatte Grünhelme mit UN-Mandat in die Debatte gebracht. Katastrophenhilfe, Beobachtermissionen oder Grenzsicherungsaufgaben müssten in jedem Einzelfall geprüft und dürften nicht von vornherein pauschal ausgeschlossen werden. Auch die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus den militärischen Strukturen der NATO sieht Liebich als unrealistisch an. Die LINKE organisiere sich damit allein den Verzicht auf jede Regierungsbeteiligung. Vor allem aber: »Wer ein System kollektiver Sicherheit will, kann sich nicht schleichend aus der NATO zurückziehen.« In die Eckpunkte, das noch gültige Parteiprogramm, waren Auslandseinsätze als offene Frage nicht aufgenommen worden. Das Reformerlager sorgt dafür: Jetzt ist sie wieder offen.

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