Von wegen Jobwunder!
Neue Stellen entstanden im vorigen Jahr vor allem in der Leiharbeitsbranche
Unsichere Beschäftigung hat Konjunktur: Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, waren 75 Prozent aller im letzten Jahr neu entstandenen Jobs atypisch. Unter die Rubrik atypisch fallen Teilzeitjobs genauso wie Zeitarbeit und befristete Beschäftigungen. Atypische Arbeit geht häufig mit prekärer Beschäftigung einher. Solche Jobs sind oftmals nicht geeignet, auf Dauer den Lebensunterhalt zu gewährleisten.
Vor allem die Zeitarbeitsbranche erlebte im letzten Jahr einen Boom: 182 000 der insgesamt 322 000 neuen Stellen fanden sich im Leiharbeitsgewerbe. Damit erreichte die Zahl der Zeitarbeiter im vergangenen Jahr mit 742 000 einen neuen Höchststand.
Zwar verweist das Statistische Bundesamt darauf, dass die atypische Beschäftigung im Krisenjahr 2009 zurückgegangen sei. Trotzdem entstanden 2010 mehr atypische Jobs als 2009 verloren gingen. Das Bundesamt verzeichnet hier einen Überschuss von 53 000 Stellen.
Was das Amt am Dienstag verschwieg: Zeitarbeiter werden oftmals schlechter bezahlt als ihre festangestellten Kollegen. Zudem sind sie im Bedarfsfall schneller kündbar und häufig nicht länger als drei Monate in einem Betrieb beschäftigt. Sie sind die Nomaden der neoliberalen Arbeitswelt. Neben der Zeitarbeit boomte 2010 auch die befristete Beschäftigung. Hier registrierte die Statistik-Behörde eine Zunahme um 121 000 Stellen. Vor allem Berufseinsteiger erhalten heutzutage oftmals nur noch befristete Arbeitsverträge. Familienplanung wird da zum Glücksspiel.
Wo die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse zurückgeht, da sinken auch die Löhne. Wie eine am Dienstag veröffentlichte Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, sind die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer in den vergangenen zehn Jahren real gesunken. Vor allem die unteren und mittleren Einkommensgruppen mussten teils massive Verluste hinnehmen. Unter Berücksichtigung der Inflation lag das Minus real bei durchschnittlich 2,5 Prozent. Wobei die untersten Gruppen gar einen Rückgang von zehn bis 22 Prozent verkraften mussten.
DIW-Forscher Markus Grabka benannte gestern auch die Ursachen: Schuld sei die durch die Hartz-Reformen begünstigte Zunahme von Leiharbeit und Minijobs, so Grabka. »Die Politik hat die Reformschraube überdreht«, betonte der Forscher gegenüber der »Frankfurter Rundschau«. »Wenn von 40 Millionen Erwerbstätigen sieben Millionen Minijobber sind, dann ist etwas aus dem Ruder gelaufen.«
Joachim Möller, der Direktor des IAB-Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, forderte am Dienstag in der »Berliner Zeitung« die Einführung eines Mindestlohns. Im Niedriglohnsektor gebe es inzwischen Auswüchse, »die man beschäftigungspolitisch nicht rechtfertigen kann«, warnte Möller.
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