Getrieben von Hass auf Linke und Fremde
Norwegischer Rechtsradikaler bereitete Massaker über neun Jahre lang vor / Bisher 93 Todesopfer
Oslo (dpa/ND). Die meisten Opfer waren fast noch Kinder: Der Massenmord eines Rechtsradikalen an wehrlosen Menschen am Freitag in Norwegen erschüttert die Welt. Der christliche Fundamentalist richtete auf einer Insel nahe Oslo ein grauenhaftes Blutbad an. Er erschoss auf einem Jugendtreffen gegen Intoleranz und für ein friedliches Miteinander mindestens 86 Teilnehmer oder trieb sie im Wasser in den Tod. »Jeder lief um sein Leben und hat versucht, wegzuschwimmen«, sagte Camp-Organisator Adrian Pracon (21), der verletzt überlebte.
Fast eineinhalb Stunden schoss der Attentäter mit einem Schnellfeuergewehr gezielt auf die panischen Jugendlichen, die weder von der Insel Utøya fliehen noch auf schnelle Hilfe hoffen konnten. »Es sah aus, als habe er Spaß«, sagte Augenzeuge Magnus Stenseth (18). Viele versuchten, sich zu verstecken oder die 700 Meter bis zum rettenden Ufer durch das kalte Wasser zu schwimmen. Als eine Anti-Terror-Einheit der Polizei endlich auf der Insel eintraf, ließ sich der mittlerweile geständige Täter Anders Behring Breivik ohne Gegenwehr festnehmen.
Vor dem Massaker hatte der 32-jährige Norweger im etwa 40 Kilometer entfernten Oslo mit einer selbst gebauten Autobombe Teile der Innenstadt in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Mindestens sieben Menschen wurden durch die Wucht der Explosion und Trümmer getötet. Das Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg würde völlig verwüstet.
In seinem Geständnis bezeichnete Breivik seine Taten als »grausam, aber notwendig«. Keine drei Stunden vor dem ersten Anschlag hatte er ein »Manifest« im Internet mit den Worten abgeschlossen: »Ich glaube, dies wird mein letzter Eintrag sein.« Er wolle Europa vor »Marxismus und Islamisierung« retten. In dem Text stufte er »multikulturelle« Kräfte als feindlich ein. Er beschrieb den Bau einer Bombe, erwähnte auch die sozialdemokratische Jugendorganisation. Niemandem habe er von seinen Plänen erzählt. Der Mann hat weder Frau noch Kinder.
Seit dem Frühjahr hatte Breivik sechs Tonnen Kunstdünger zusammengekauft, der zur Herstellung von Bomben geeignet ist. Der Hobbyschütze hatte über Netzwerke im Internet Kontakte in die rechte Szene. Neun Jahre bereitete er die Tat laut seinem »Manifest« vor. Er soll nun auf seinen Geisteszustand untersucht werden. »Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat«, sagte Verteidiger Geir Lippestad im Sender TV2. Ermittler gehen davon aus, dass Breivik allein gehandelt hat.
Die Polizei befürchtet, dass noch nicht alle Todesopfer entdeckt sind. Rund um Utøya suchen Spezialisten nach vier Vermissten. Bis Sonntagmittag zählten die Behörden 93 Tote und knapp 100 Verletzte: Ministerpräsident Stoltenberg sprach von der schlimmsten Katastrophe Norwegens seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie zahlreiche andere Staatsoberhäupter übermittelte Bundespräsident Christian Wulff den Opfern der Bluttat und den Hinterbliebenen seine Anteilnahme. Tagesthema Seite 2
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