Oslo und die Matrix der Apokalypse

Der Wahn des christlichen Fundamentalismus

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Aufrufe zum Mord und deren Vollstreckung gehören seit jeher zum Kriegsarsenal religiöser Fundamentalisten. Auch im Christentum dient dieses Wahnpotenzial der ideologischen Aufrüstung von Fanatikern und Feinden der offenen Gesellschaft. Einer von ihnen ist der Massenmörder von Oslo.

»Und deshalb ermahne ich, nein, nicht ich, ermahnt Gott Euch als inständige Herolde Christi mit aufrechter Bitte, Männer jeglichen Standes, ganz gleich welchen, Ritter wie Fußkämpfer, reiche und arme, wiederholt aufzufordern, diese wertlose Rasse in unseren Ländern auszurotten und den christlichen Bewohnern rechtzeitig zu helfen.« Über 900 Jahre trennen den Aufruf des Papstes Urban II. zum Ersten Kreuzzug gegen die Muslime vom »Manifest« des Oslo-Attentäters Anders Behring Breivik. In Breiviks mit dem roten Kreuz des Templerordens dekorierten Pamphlet wird der »präventive Krieg« erklärt gegen die »marxistisch-multikulturellen Regime in Europa« und die »islamische Invasion/Kolonisation«. Breiviks Mitgliedschaft in einer christlichen Freimaurerloge verweist zwar zunächst nur auf seine religiöse Orientierung, dürfte aber auch einschlägigen Verschwörungstheorien zum Aufschwung verhelfen. Medien und Ermittlungsbehörden gilt der 32-Jährige als christlicher Fundamentalist.

Die Ansicht, die »Ausrottung« einer »wertlosen Rasse« sei Recht und Pflicht eines »Christen«, spricht aus den Worten des Papstes Ende des 11. Jahrhunderts wie aus denen des norwegischen Massenmörders Anfang des 21. Jahrhunderts. Sie gründet in der Überzeugtheit, einer Religion anzugehören, deren Botschaft in irrtumsloser Allmacht die einzige Wahrheit verkündet und deshalb alle anderen religiösen und weltanschaulichen Systeme verdammt. Ihr eignet zudem jener rigide Dualismus von Gut und Böse, den der persisch-christliche Religionsgründer Mani im 3. Jahrhundert als Manichäismus schuf. Wobei die Deklaration von Gut und Böse nicht auf menschlich-moralischer Basis erfolgt, sondern allein nach den »göttlichen« Grundsätzen der Fundamentalisten.

Ein solcher Fundamentalismus ausgerechnet in Norwegen erscheint auf den ersten Blick überraschend. Zwar gehören etwa 80 Prozent der knapp fünf Millionen Einwohner der evangelisch-lutherischen Staatskirche an. Als kirchlich aktiv gelten indes lediglich zehn Prozent. Doch gerade diese religiöse Indifferenz rief bereits im 19. Jahrhundert Laienprediger auf den Plan, deren wachsende Bewegung auf eine »Wiedererweckung« des christlichen Glaubens in der Bevölkerung zielte. Daraus entstanden in der Folge zahlreiche Freikirchen, deren theologische Verkündigung stark von biblischen Prophezeiungen und Endzeitmythen geprägt war. An dieser apokalyptischen Matrix hat sich bis heute wenig geändert. Zwar haben die evangelikalen Bewegungen in Norwegen längst nicht den Einfluss wie in den USA. Aber deren stärkste dort, die Pfingstbewegung (40 000 Mitglieder), ringt vor allem gegen die römisch-katholische Kirche (67 000) um wachsenden missionarischen Einfluss.

Diese Konkurrenzsituation gestaltet sich umso brisanter, als es mittlerweile in Norwegen 100 000 Muslime gibt. In Oslo beträgt deren Bevölkerungsanteil bereits 7,5 Prozent (landesweit: 2 Prozent).

Zum Fundamentalistischen tendierende christlich-konservative Ansichten finden sich auch in der norwegischen Politik. So regierte von 1997 bis 2005 der lutherische Pastor Kjell Magne Bondevik von der Christlichen Volkspartei als Ministerpräsident das Land. Er engagierte sich leidenschaftlich im Kampf gegen Schwangerschaftsabbruch und gleichgeschlechtliche Ehen sowie für mehr christliche Fernseh- und Rundfunksender.

Christlicher – wie jeder religiöse oder ideologische – Fundamentalismus führt zu Spaltungen in der Gesellschaft. Er kann – siehe USA – Kriege fördernd begleiten. Und er kann – siehe Norwegen – in Menschen ein pathologisch-destruktives Potenzial aktivieren, dessen Folgen für alle verheerend sind.

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