Jeder will nur Herausforderer sein

Start der Bundesliga: Warum selbst die Titelverteidiger aus Dortmund den FC Bayern als Meisterfavoriten sehen

  • Christian Heinig
  • Lesedauer: 4 Min.

Im August, vor ziemlich genau zwei Jahren, da hat Jürgen Klopp dem »ZEITmagazin« ein lesenswertes Interview gegeben. Er hat darin über seine Kindheit im Schwarzwald berichtet, über soziale Wirklichkeit im Ruhrgebiet und Post von Hartz-IV-Empfängern, auch zum Tabuthema schwule Fußballprofis hat Klopp sich geäußert. Interessant ist überdies aber das Ende des Gesprächs. Da wurde Klopp, der sich bekanntlich seit drei Monaten Meistertrainer von Borussia Dortmund nennen darf, darum gebeten, ihm vorgelegte Behauptungen nur mit »richtig« oder »falsch« zu beantworten. Die letzte Behauptung lautete: »Jürgen Klopp sagt in Interviews immer die Wahrheit«. Klopp soll bei der Antwort lange gezögert haben, und dann hat er gesagt: »Falsch«.

Hört, hört. Könnte es demnach ein klitzekleines Flunkern sein, was Klopp jüngst zu den Aussichten der Dortmunder Borussen für die neue Saison erzählt hat, die für seine Mannschaft heute mit dem Duell gegen den Hamburger SV beginnt. Nämlich, dass der BVB der erste Meister in der Geschichte der Bundesliga sei, der nicht als Titelverteidiger in die Saison gehe, sondern erneut als Herausforderer? Dass lediglich das Erreichen eines internationalen Wettbewerbs das Ziel sei? Und, dass es Wahnsinn wäre, sollte der FC Bayern den Meistertitel verfehlen, bei dem, was die Münchner einsetzen würden?

Wahrheit oder Lüge, richtig oder falsch, man wird es wohl nie erfahren. Was man weiß, ist, dass der FC Bayern im Sommer in der Tat einen großen Berg Bares in kickendes Personal investiert hat – in Zahlen: 44 Millionen Euro, in Namen: Manuel Neuer, Rafinha, Jerome Boateng, Nils Petersen, Takashi Usami. So will man verhindern, dass 2012 erneut BVB-Fans auf die Idee kommen, Ortsschilder mit dem schwarz-gelben Schriftzug »Fußballhauptstadt Dortmund« zu überkleben, und man will dafür sorgen, dass Vizemeister Bayer 04 Leverkusen seinem liebevollen Beinamen Vizekusen weiterhin die Treue hält.

Jupp Heynckes, zuletzt bei Bayer, nun zum dritten mal Bayern-Coach, erwartet zwischen diesen drei Mannschaften eine »ganz enge Kiste« im Titelrennen. Folgt man der Umfrage des Sportinformationsdienstes unter den achtzehn Bundesliga-Trainern, dann kommt der neue Meister abermals

aus dem Spitzentrio der Vorsaison. Zwölf von ihnen setzen in der Favoritenfrage sogar ausschließlich auf den FC Bayern. Eine Ausnahme bildet hier einzig Thomas Schaaf, der Fußballlehrer des einstigen Wohlfühlklubs Werder Bremen, der heute in der Außenwirkung eher an die FDP in ihren Tagen vor dem Dreikönigstreffen erinnert. Schaaf sagt: »Für mich ist der Titelverteidiger immer der Favorit, also Borussia Dortmund.«

Personell hat man in Dortmund ausgesprochen unaufgeregt auf den Titelgewinn regiert. Man hat von überstürzten Millioneninvestitionen in vermeintliche Stars abgesehen, der Star ist hier das Team. Als Ersatz für Nuri Sahin, dem Mittelfeldhirn, der es vorzog, bei Real Madrid ein Königlicher zu werden, wurde Ilkay Gündogan verpflichtet, ein 20-jähriges Mittelfeldtalent, zuletzt aktiv beim 1. FC Nürnberg. Gündogan ist einer von fünf Neuen, am namhaftesten unter ihnen ist noch der Kroate Ivan Perisic, gekommen vom FC Brügge, ebenfalls erst 22, ebenfalls Mittelmann. Ein unverbrauchter, formbarer Spieler, so wie es Klopp bekanntlich am liebsten hat.

Wie das Gros der Liga setzt man beim BVB weiter auf das bekannte 4-2-3-1 System. Vorbild bei der Spielweise bleibt der FC Barcelona. »Das Gegenpressing, das Barca spielt, ist außergewöhnlich«, schwärmt Klopp. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage, das sei noch gesagt, beträgt übrigens gefühlte hundert Prozent. Mindestens.

Bundesliga, 1. Spieltag

Dortmund - Hamburg heute 20.30
Bremen - Kaiserslautern Sa. 15.30
Hannover - Hoffenheim Sa. 15.30
Stuttgart - Schalke Sa. 15.30
Köln - Wolfsburg Sa. 15.30
Augsburg - Freiburg Sa. 15.30
Hertha BSC - Nürnberg Sa. 18.30
Mainz - Leverkusen So. 15.30
Bayern - Mönchengladbach So. 17.30

ND tippt:

... den Meister

Nach 54 Jahren wieder Schalke 04. Das Missverständnis Magath ist beendet, aus dessen Personalinvestitionen wird Ralf Rangnick ein Meisterteam formen. Die Offensive um Raúl, Klaas-Jan Huntelaar und Lewis Holtby schießt mehr Tore als die Defensive trotz Verkauf von Manuel Neuer kassieren wird.

... die Absteiger

Dem Rausch folgt der Kater. Die Dreifachbelastung aus Liga, Pokal und Europa League führt Hannover in den Abstiegsstrudel. Nach Platz vier sind Trainer und Spieler damit überfordert. Für die »Roten Teufel« aus Kaiserslautern geht es ebenfalls auf direktem Weg runter – weil Knipser Srdjan Lakic jetzt ein Wolf ist und die von Trainer Marco Kurz gepredigten Tugenden Kampf und Einsatzbereitschaft zu wenig sind.

... die Aufsteiger

Schuld am fehlenden Glück ist Greuther Fürth selbst. Hätte der Klub statt des drei- ein vierblättriges Kleeblatt im Wappen, wäre er längst erstklassig. Acht Mal scheiterte man als Vierter und Fünfter – aber aller guten Dinge sind in diesem Fall neun. Wie Fürth, setzt sich auch Braunschweig mit erfrischendem Offensivfußball durch. Der Unterschied: Eintracht gelingt der direkte Durchmarsch. Sportressort

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