Euro-Länder ziehen Notbremse gegen Spekulanten
Vier Staaten untersagen Leerverkäufe / Kritik an schweigender Kanzlerin / EU-Rettungsfonds im September im Parlament
Die Börsenaufsicht mehrerer Euro- Länder geht angesichts der Börsenturbulenzen gegen Leerverkäufe von Aktien vor. »Heute haben einige Behörden beschlossen, Verbote von Leerverkäufen einzuführen oder auszudehnen«, teilte die EU-Aufsichtsbehörde ESMA am Donnerstagabend in Paris mit. Damit solle die Möglichkeit eingeschränkt werden, aus der Verbreitung falscher Gerüchte Profit zu schlagen. Neben Frankreich handele es sich um Italien, Spanien und Belgien.
Mit den Verboten reagiert die Politik auf jüngste Börsenturbulenzen. Insbesondere die massiven Kurseinbrüche führender Banken und Versicherungen vom Mittwoch nach einer Falschmeldung, wonach die französische Société Générale vor dem Bankrott stehe, hatten für Verärgerung gesorgt.
Bereits auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise 2008 hatten selbst die USA »ungedeckte« Leerverkäufe verboten. Deutschland hat diese Geschäfte seit 2010 untersagt. Die vier Euroländer haben nun auch »gedeckte« Leerverkäufe verboten. Dabei handelt es sich um hochspekulative Wetten auf fallende Kurse. Ein Händler verkauft Aktien, die er sich zuvor gegen Gebühr ausgeliehen hat, und kauft sie später an der Börse zurück, um sie dem Verleiher zurückzugeben. Gewinn macht der Spekulant, wenn der Kurs in der Zwischenzeit gefallen ist. Bei »ungedeckten« Leerverkäufen hat der Händler die Aktien nicht einmal geliehen. Insbesondere Hedgefonds wenden dies an, um eine hohe Rendite zu erzielen. Eine große Anzahl von Leerverkäufen kann alleine schon den Kurs einer Aktie stark drücken. Der Effekt kann in einem nervösen Börsenumfeld durch gezieltes Streuen von Gerüchten verstärkt werden.
Das Verbot soll in Spanien und Frankreich 15 Tage gelten, in Belgien ist es unbegrenzt und Italien macht keine Angabe dazu. Dass Leerverkäufe in der EU verboten werden, ist angesichts unterschiedlichen Positionen der Regierungen unwahrscheinlich. Dies erklärt auch, dass man mit der Finanzmarktregulierung nicht besonders weit gekommen ist.
Die Börsen setzten ihre Aufwärtsbewegung beschleunigt fort. Der DAX lag am Nachmittag fast vier Prozent im Plus, europaweit sah es ähnlich aus.
Hinter dem Vorstoß steht vor allem Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Er hatte wegen Gerüchten, dass Frankreich die Bestnote »AAA« der Kreditwürdigkeit verlieren könnte, seinen Urlaub abgebrochen und will sich am kommenden Dienstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel abstimmen. Diese ist seit dieser Woche wieder in Berlin, hat sich aber noch immer nicht zu den Turbulenzen geäußert. Dies war vielerorts auf Kritik gestoßen. »Die Politik der ruhigen Hand der Kanzlerin ist gegenüber den entfesselten Finanzmärkten völlig fehl am Platz«, erklärte Linksfraktionschef Gregor Gysi am Freitag. »Die Banken und Spekulanten müssen endlich in die Schranken gewiesen werden.« Gysi wiederholte die Forderung seiner Partei nach Einführung von Eurobonds. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte in einem Brief an Merkel eine baldige Sondersitzung des Bundestags. Der legendäre Großinvestor George Soros machte die Kanzlerin für die Eskalation der Situation an den Märkten verantwortlich. Die Euro-Krise habe ihren Ursprung in der Entscheidung Merkels gehabt, »für Zahlungsausfälle nicht die EU, sondern jeweils die einzelnen Länder bürgen zu lassen«, schrieb Soros im »Handelsblatt«.
Die Koalition will das Gesetz zur Reform des Euro-Rettungsschirms, wie jetzt bekannt wurde, bis zum 23. September in Bundestag und Bundesrat verabschieden.
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