Mauer, Ska und Gregor Gysi

Landesparteitag und Wahlkampfauftakt im Nordosten: Landeschef Bockhahn wiedergewählt

  • Velten Schäfer, Rostock
  • Lesedauer: 4 Min.
Die berühmten fünf Minuten zweifelhaften Ruhmes gab es für die Linkspartei im Nordosten nach ihrem Rostocker Landesparteitag. Über die Mauer soll im Herbst diskutiert werden, nun soll es drei Wochen um die Zukunftsthemen gehen: Kommunalfinanzen, Bildung, Niedriglöhne.

Aus Sicht der Schweriner FDP-Fraktion hat sie sich an diesem Wochenende schon formiert, die rot-rote Koalition aus Pest und Cholera: »Ehrlicher« sei die zentrale Gedenkveranstaltung an den Berliner Mauerbau in Zarrentin, wenn der Ministerpräsident nicht teilnehme, erklärte der scheidende Fraktionschef Michael Roolf, der »Umgang von SPD und LINKEN mit der DDR-Geschichte schadet dem Ansehen unseres Landes Mecklenburg-Vorpommern«. Nicht nur die Linkspartei, sondern auch Erwin Sellering war in den letzten Tagen öffentlich angegriffen worden, weil sein Umgang mit dem 50. Jahrestag des Mauerbaus nicht angemessen sei. Statt der Gedenkveranstaltung in Zarrentin beizuwohnen, auf der die MfS-Unterlagenbeauftragte Marita Pagels-Heineking die Hauptrednerin war, hatte der Ministerpräsident einen Termin auf der Rostocker Hanse Sail gemacht, wo er vor Unternehmern sprach – auch über die Mauer, wie er vorab versichert hatte.

DDR-Schelte von Manuela Schwesig

Was der Ministerpräsident dort tatsächlich sagte, wurde nicht öffentlich – die DDR-Schelte überlies Sellering jedenfalls seiner Stellvertreterin im Parteivorsitz, Sozialministerin Manuela Schwesig. Via »Bild am Sonntag« griff sie den den Beschluss der LINKEN an, über die »Positionspapiere« zum Mauerbau erst im Herbst zu debattieren, auf einer speziellen Konferenz. Mit diesem Beschluss schaffte es die Landespartei sogar in die überregionalen Nachrichtensendungen; dass die frühere Sozialministerin Marianne Linke bei der Gedenkminute für den Mauerbau am Samstag bewusst sitzen geblieben war und dies mit dem 140. Geburtstag von Karl Liebknecht begründete, blieb dagegen eine regionale Nachricht. Der frühere Landtagsabgeordnete Arnold Schoenenburg lies es sich trotzdem nicht nehmen, die »Alternativlosigkeit« der Grenzschließung vor 50 Jahren im Plenum zu unterstreichen. Auch in der Landespartei freuen sich nicht alle auf diese Konferenz: »Ich brauche keine Extratagung, um diese Art der Grenzsicherung nach innen abzulehnen«, sagt etwa ein Delegierter aus Ostvorpommern.

Deutlich wurde, dass auch im Nordosten – wo die Partei den ersten wirklichen Erfolg in diesem Jahr einfahren könnte – der Segen weiterhin schief hängt. In der Aussprache um die anstehende Wiederwahl des Parteichefs gab es viel offene Kritik – besonders der Listenwahlparteitag vom Frühjahr, bei dem die Kandidaten des »antikapitalistischen« Flügels durchgereicht worden waren, schien noch nachzuwirken. Ohne Gegenkandidat erreichte Bockhahn nun 67 Prozent der Stimmen, vor zwei Jahren war er mit Gegenkandidat auf 61 Prozent gekommen. Bockhahn wertet das auch als Bestätigung: »Noch nie« habe er auf einem Parteitag eine ähnliche Mehrheit bekommen. Als Stellvertreterinnen wurden Heidrun Bluhm im Amt bestätigt und Jeannine Rösler sowie Björn Griese neu gewählt. Die dem Kritikerlager zuzurechnende Landtagsabgeordnete Barbara Borchardt, die überraschenderweise auch für das Gremium angetreten war, scheiterte dagegen mit 45 Prozent der Stimmen.

Um interne Streitigkeiten zu mildern, hat Bockhahn eine Art Harmonieprogramm angekündigt. Er selbst werde »weiter an sich arbeiten« und »Dinge nicht so persönlich nehmen«, sagte der 32-Jährige. Zudem sollen sich die Kreisvorstände, der Landesvorstand und der Landesausschuss öfter zu Koordinierungsgesprächen treffen, um die Konflikte »kulturvoller« auszutragen. Ein »neues Gremium« soll das allerdings ausdrücklich nicht sein, so Bockhahn.

Prominente Unterstützer aus Berlin

Am Sonntag konnte sich die Partei dann dem Wahlkampf zuwenden; aus Berlin war mit Parteichefin Gesine Lötzsch und Fraktionsspitze Gregor Gysi prominente Unterstützung angereist. Lötzsch schwor die Delegierten und die Partei in der Stadthalle auf einen engagierten Wahlkampf ein. Spitzenkandidat Helmut Holter warf der rot-schwarzen Koalition im Schweriner Schloss eine Selbstblockade vor. Statt zu regieren, verzettele sich die Koalition in kleinen und großen Querelen, die das Land lähmten und einer Stimmung von Misstrauen und Überdruss Vorschub leisteten, sagte Holter. In einer möglichen rot-roten Regierung will die Linkspartei ab Herbst vor allem eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen, eine aktive Arbeitsmarktpolitik und bessere Bildungsangebote durchsetzen – und auf die Einführung von Lohnstandards drängen, etwa durch ein stark nachgebessertes Landesvergabegesetz.

Das alles von der doch eher drögen Atmosphäre der Stadthalle in die Mitte der Stadt zu transportieren, war dann Gregor Gysi vorbehalten, der nachmittags in der Fußgängerzone erwartet wurde. Keine leichte Aufgabe, denn die Rostocker sind nach dem Hanse-Sail-Volksfest recht verkatert. Doch Gysi ist bekanntlich ein Selbstläufer im Osten – wie auch die Potsdamer Band »44 Leningrad«, die zum Wahlauftakt mit ihren Ska- und Punkversionen russischer Volks- und Heldenlieder für Auflockerung sorgen sollte.

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