Birmingham als Beispiel
Englische Krawalle: Gewinner und Verlierer
Drei Ermordete in Birmingham, zwei in London, ausgebrannte Wohnungen und Läden – Verlierer der Krawalle und Plünderungen in englischen Großstädten sind schnell ausgemacht. Auch die Täter, die vor Schnellgerichten Gefängnisstrafen und einen Eintrag ins Strafregister bekommen, sehen ihre Zukunft zerstört. Und wie sieht's aus bei den Politikern?
Die Revolution war hier nicht im Anmarsch. Keine Protestdemonstrationen vor Parlamenten wie in Athen oder Madrid. Die tapfere Uncut-Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass Firmen und Reiche ihren gerechten Steueranteil bezahlen, war bei den Angriffen auf Elektronikhändler nicht vertreten. Dort wollten sich nur Plünderer bereichern.
Die friedliche Menge, die sich am Sonnabend in Birmingham zur Erinnerung an die drei Kiezverteidiger Haroon Jahan, Shazad Ali und Abdul Musavir versammelte, verlangte keine Rache, sondern ihr Recht. Angehörige forderten, dass sich Zeugen, die gesehen haben, wie die drei von Krawallmachern absichtlich überfahren wurden, melden sollten, aber Kämpfe zwischen einzelnen Bevölkerungsteilen seien fehl am Platz. Fünf Tatverdächtige sind verhaftet worden.
Auch die Täter beim doppelten Angriff auf den malaysischen Studenten Ashraf Haziq gehören angeblich zu den über 2000 Verhafteten. Die ersten Trümmer wurden von beherzten Bürgern beseitigt, Polizisten überfluten Londons Vororte. Eine Art brüchiger Normalität scheint zurückgekehrt – der Ruf einiger verspätet aus den Ferien zurückgekehrter Politiker dagegen ist beschädigt. Premier David Cameron kam desorientiert aus dem Toskana-Urlaub in die brennende Hauptstadt und spielte sich als Law-and-Order-Apostel auf, um die durch die Unruhen Verunsicherten hinter sich zu scharen.
Die sozialen Unterschiede, die »Gier ist gut«-Mentalität im Lande blendete er dabei aus. Dafür kritisierten Cameron und Innenministerin Theresa May das erste unentschlossene Vorgehen der Ordnungskräfte. Sie verbuchten auch die Urlaubssperre bei der Polizei in London aufs Konto der Regierenden. Das stimmte nicht: Sir Hugh Orde, Sprecher des Verbands der englischen Chefpolizisten, machte klar, dass solche Entscheidungen im operativen Bereich fielen, wo kein Politiker das Sagen hatte.
Kein Wunder, dass laut einer Umfrage des ICM-Instituts nur 30 Prozent meinen, der Premier habe seine Arbeit während der Krawalle gut gemacht, 44 Prozent stimmen für schlecht.
Aber auch Oppositionschef Ed Miliband hatte einen schweren Stand. Zu viel Verständnis für den sozialen Hintergrund einiger Gewalttäter hätte das Risiko mit sich gebracht, als heimlicher Sympathisant abgestempelt zu werden. Diesen demagogischen Vorwurf erhob der rechte Bildungsminister Michael Gove im Fernsehstreitgespräch mit Milibands Stellvertreterin Harriet Harman. Der Labour-Chef war schlauer, verurteilte die Gesetzesbrecher, konzentrierte seine Kritik aber auf die Regierungspläne zur Kürzung von Polizeibudgets. Halten Cameron und Finanzminister George Osborne an den geplanten 20-Prozent-Kürzungen fest? Ja, das bringe keine Probleme mit sich, behauptete der Premier. Glauben macht selig.
In einer Rede im krawallbeschädigten Londoner Stadtteil Brixton ging Miliband ins Grundsätzliche. Er verlangte nicht nur eine Untersuchung der Gewalttaten, sondern eine weitere zum Thema soziale Ungleichheit. »Was im Bankensystem passierte, bei Abgeordneten, die ihre Spesen fälschten, oder beim Abhörskandal ist nicht das Gleiche wie Plündern. Aber auch das sind Beispiele mangelnden Verantwortungsbewusstseins, und zwar an der Spitze der Gesellschaft.« Nicht alle, aber mindestens einige Gewalttaten hätten mit dem Ausschluss vieler Jugendlicher aus der Arbeitsgesellschaft zu tun. Eine einsichtigere Analyse als die von Cameron.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.