Verloren in Pariser Katakomben

Untergrund der französischen Hauptstadt gleicht einem Schweizer Käse

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Drei Jugendliche, die sich in den Katakomben von Paris verirrt hatten, konnten erst nach 48 Stunden gerettet werden. Die knapp 20-Jährigen hatten an einer illegalen »Grotten-Party« teilgenommen und sich auf dem Rückweg zum »Einstieg« in dem über 150 Kilometer langen Labyrinth verlaufen. Freunde, die an derselben Party teilgenommen hatten und sie am nächsten Tag vermissten, alarmierten die Polizei. Die verfügt über eine Spezialtruppe von »Höhlenspezialisten«, die sich in den Katakomben auskennen, über entsprechende Technik verfügen und die die Verlorenen schließlich fanden. Jetzt muss jeder von ihnen mit 60 Euro Geldstrafe rechnen, denn es ist streng verboten, die Katakomben außerhalb der für Touristen abgetrennten und besonders gesicherten Gänge zu betreten. Trotzdem kommt es immer wieder vor. Es gibt sogar Gruppen, die es als Herausforderung betrachten, den Pariser Untergrund auf eigene Faust zu erforschen.

Die stark verzweigten Katakomben befinden sich im Norden, Westen und Süden von Paris. Sie entstanden im Verlauf mehrerer Jahrhunderte, weil für den Häuserbau im Untergrund Kalkstein oder Gips abgebaut wurde. Diese Steinbrüche machen heute eine Fläche von 900 Hektar aus. Davon kann ein kleiner Teil besichtigt werden. Der Eingang befindet sich am Denfert-Rochereau-Platz, wo man über Treppen 20 Meter in die Tiefe steigen muss. In dem Teil der Katakomben wurden die Knochen der Toten aufgestapelt, die man auf Friedhöfen rund um die vielen Kirchen im Stadtgebiet ausgegraben hat, als diese im 18. Jahrhundert aus Gründen der Hygiene verboten und liquidiert wurden. Heute lagern dort die Gebeine von etwa sechs Millionen Menschen, die zwischen dem frühen Mittelalter und dem beginnenden 19. Jahrhundert in Paris gelebt haben.

Die Höhlen unter der Stadt wurden auf vielfache Weise genutzt. Im 18. Jahrhundert fanden dort nicht wenige der berüchtigten »Schwarzen Messen« statt, die Höhlen dienten als Gefängnis, als Versteck für Aufständische oder heimliche Liebespaare, wurden von Schmugglern als Lager, von Händlern als Wein- oder Bierkeller benutzt oder dienten der Zucht von Champignons. In einer Höhle unter dem Naturkundemuseum richtete der Forscher Armand Viré 1892 ein Labor für biologische Untersuchungen über Höhlenfauna ein.

All das ist Vergangenheit. Doch in den letzten Jahren wurde es unter Pariser Jugendlichen Mode, in den Gewölben bei Fackelschein Partys zu feiner. Das ist nicht ungefährlich angesichts des oft halsbrecherischen Einstiegs per Strickleiter und der schnell knapp werdenden Luft wegen der unten betriebenen kleinen Dieselgeneratoren, die den Strom für die Disko liefern. Um dem gefährlichen und verbotenen Treiben ein Ende zu setzen, erlaubt die Nationalbibliothek Jugendlichen keinen Einblick mehr in die Atlanten des Pariser Höhlennetzes und die städtische Steinbruchinspektion hat hunderte Einstiegsgullys vorsichtshalber zugemauert oder zugeschweißt.

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