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Die faire Beschaffung lässt auf sich warten

Ein Jahr neues Berliner Vergabegesetz: Hochkarätige Podiumsdiskussion zieht kritisch-positive Bilanz

Wenn das zivilgesellschaftliche FAIRgabe-Bündnis Berlin zur Diskussion rund um das Vergabegesetz lädt, kommen normalerweise die entwicklungspolitischen Sprecher der Parteien. Nicht so im DGB-Haus am Dienstagabend in Zeiten des Wahlkampfes: Für die LINKE kam Wirtschaftssenator Harald Wolf, SPD und Grüne schickten die Fraktionsvorsitzenden Michael Müller respektive Volker Ratzmann. Nur FDP und CDU, die das am 22. Juli 2010 in Kraft getretene neue Vergabegesetz ablehnten, schickten mit dem baupolitischen Sprecher Matthias Brauner (CDU) und dem Wirtschaftssprecher Volker Thiel keine stadtbekannte Prominenz.

Für Berlin war die Verabschiedung des neuen Vergabegesetzes ein großer Schritt: Die rot-rote Koalition wollte durch den darin festgeschriebenen Mindestlohn von 7,50 Euro Dumpingpraktiken bei öffentlichen Aufträgen in Berlin einen Riegel vorschieben und die Vergabe generell auf faire, ökologische und soziale Kriterien ausrichten. Dabei geht es insbesondere um die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, die Vereinigungsfreiheit, Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit und ein Verbot der Diskriminierung beinhalten. Zu berücksichtigen sind aber auch ökologische Kriterien zum Beispiel unter Einschluss des Lebenskostenzyklus: So kostet ein Hybrid-Omnibus in der Anschaffung zwar 30 000 Euro mehr, erspart aber bei normaler Laufzeit 150 000 Euro an Benzinkosten.

Bei der öffentlichen Vergabe wurden bundesweit insgesamt zuletzt 360 Milliarden Euro im Jahr vergeben, in Berlin sind es derzeit vier bis fünf Milliarden. Wenn dabei die Kriterien eingehalten würden, ergäbe sich zumindest eine Signal-, wenn nicht gar Lenkungswirkung für die Privatwirtschaft. Ganz nach dem Motto: Geiz ist nicht geil.

So richtig zu spüren ist die gewünschte Wirkung derweil noch nicht. Dass das ehrgeizige Unterfangen nach einem guten Jahr in der Praxis noch nicht rund läuft, darauf konnten sich parteiübergreifend alle einigen. Vor allem die fehlende Kontrolle, ob die Kriterien der Vergabe eingehalten werden, wurde moniert. Senator Wolf bezeichnete es als »misslich«, dass die Kontrollkommission, die zur Durchsetzung des Gesetzes eingerichtet werden soll, auch ein gutes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht existiert. Während das Berliner FAIRgabebündnis, in dem zehn Nichtregierungsorganisationen sowie Gewerkschaften zusammengeschlossen sind, darin zusammen mit einer fehlenden Umsetzungsstrategie die zentralen Mängel des an sich begrüßenswerten Vergabegesetzes sehen, hält Wolf das für nicht so dramatisch. Schließlich sei jede Vergabestelle verpflichtet, sich an die per Rundschreiben verfügten Vergabeanordnungen zu halten und stichprobenweise Kontrollen durchzuführen. Die Kontrollaufgabe sei zudem auch eine gesellschaftliche Aufgabe, Hinweisen zu Fehlvergaben werde man nachgehen.

Einen gewichtigen Vorwurf brachte am Dienstag ein Zuhörer vor: Demnach hat die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Landes Berlin, Reinigungsaufträge an das Merseburger Unternehmen Clean Up vergeben, das offensichtlich nicht den Mindestlohn, sondern faktisch nur um die vier oder fünf Euro in der Stunde für die 400-Euro-Kräfte zahlen würde. In der kalkulierten Arbeitszeit seien die zu putzenden Quadratmetern offenkundig nicht zu schaffen, die Mehrarbeitszeit bliebe unentlohnt.

»Inakzeptabel«, meinte Wolf und versprach, wie auch Koalitionspartner Michael Müller, die Sache zu prüfen. Müller begrüßte das Gesetz im Grundsatz, fordert aber eine höhere Kontrolldichte und Sanktionen bei Verstößen. Und er wies auf den Ausgangspunkt des Vergabegesetzes hin: Das Fehlen eines bundesweiten Mindestlohnes. Dieser »Skandal« hätte als zweitbeste Lösung ein neues Vergabegesetz in Berlin zwingend gemacht, das freilich »kein Allheilmittel« sei und weiterentwickelt werden müsste.

Eine Weiterentwicklung ist schon in Arbeit: Die rot-rote Koalition ist sich einig, den Mindestlohn auf 8,50 Euro zu erhöhen. Auch um das Paradoxon zu vermeiden, dass Kosteneinsparungen bei der Auftragsvergabe über Kostenerhöhungen bei den Sozialkassen überkompensiert werden, wenn Billiglöhner zu Hartz-IV-Aufstockern werden. Davon gibt es allein in Berlin über 120 000 und dazu gehörten zumindest in der Vergangenheit auch Zusteller der PIN AG, an die der Senat mehrfach den Zuschlag für den Behördenpostverkehr erteilt hatte. Mit dieser Geiz-ist-geil-Orientierung hat sich das Land oft selber geschadet. Klar ist aber auch, eine Vergabe nach fairen, ökologischen und sozialen Kriterien wird mehr kosten als bisher. Das muss allen klar – und es den Wählern wert sein.

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