»Über das reden, was wir tun wollen«

LINKE-Spitzenkandidat Helmut Holter über Mindestlöhne, Bildung und den Arbeitsmarkt – und über internen Streit

  • Lesedauer: 4 Min.
ND: Erst ging es um die Berliner Mauer, dann gab es gegenseitige Austrittsaufforderungen, dann war Kuba das Thema – die Linkspartei bietet mitten im Ihrem Landtagswahlkampf viele Angriffspunkte. Ärgert Sie das?
Holter: Die Mauer steht am 4. September ebensowenig zur Wahl wie Kuba. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist wichtig, aber jetzt kommt es auf die Zukunftsfragen des Landes an: Mindestlohn, Schul- und Bildungsfragen, der Erhalt der Handlungsfähigkeit der Kommunen. Das sind die Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Die Fragen zum Geschichtsbild werden immer wieder gestellt werden, wir müssen sie in einer kulturvollen, unaufgeregten Weise diskutieren. Die Linkspartei und die damalige PDS haben in einer seit mehr als zwanzig Jahren anhaltenden breiten Diskussion eine zentrale Schlussfolgerung gezogen: Sozialismus, Demokratie und Freiheit gehören untrennbar zusammen. Bei allen Meinungsunterschieden bleibt dies auch künftig die Grundlage aller Diskussionen.

Angenommen, Sie könnten tatsächlich eine Regierung bilden: Gibt es für Sie eine »rote Linie«? Ein kategorisches »Nicht mit uns«?
Mit uns gibt es kein Kohlekraftwerk in MV, auch ein Ausbau des Atommüll-Lagers in Lubmin ist mit uns nicht zu machen. Ansonsten möchte ich lieber über die Dinge sprechen, die wir tun wollen, als über die, die wir nicht tun wollen. Das Land braucht ein Vergabegesetz, das öffentliche Aufträge an einen Mindestlohn bindet. Unsere Vorstellung vom Mindestlohn liegt bei zunächst 10 Euro. Wir müssen in den Schulen Verhältnisse schaffen, die allen Kindern einen Schulabschluss ermöglichen. Und wir müssen den Kommunen ihren Aufgaben entsprechende Mittel zur Verfügung stellen. Wir wollen die Gegenwart und die Zukunft gestalten. Das ist nur mit einem Politikwechsel und dieser nur mit einer starken LINKEN zu haben.

Der Bildungsminister denkt laut darüber nach, die Lehrer wieder zu verbeamten, um den Beruf attraktiver zu machen.
Die Verbeamtung allein kann das Problem nicht lösen. Wir dürfen auch die jetzt angestellten Lehrkräfte nicht vergessen, für die eine Verbeamtung nicht möglich ist. Es sind drängendere Aufgaben zu erledigen. Wir wollen zusätzlich 250 Lehrkräfte im Jahr einstellen und die Arbeitsbedingungen verbessern. Die zuletzt eingeführte sogenannte selbstständige Schule und die Ganztagsschulen sind nicht ausfinanziert. Die Koalition stand immer auf dem Standpunkt: Wir müssen dringend etwas tun, es darf aber nichts zusätzlich kosten. Selbständige Schule und Ganztagsschulen brauchen mehr Mittel, aber auch ein intaktes Umfeld aus Vereinen und Kulturinstitutionen, mit denen sie kooperieren können, etwa für die Nachmittagsstunden. Und damit sind wir wieder bei den Kommunalfinanzen ...

...und überhaupt beim lieben Geld. Der Linkspartei wird ja oft vorgeworfen, sie wolle eingebildete Euros verteilen.
Im Moment ist es offenbar eher so, dass der Ministerpräsident Geld verspricht, ohne sich in die Karten der Haushaltspläne für 2012 und 2013 blicken zu lassen. Das ist doch unseriös, die Fragen aber bekommen wir. Letztlich kommt niemand daran vorbei, dass die Konsolidierung des Landeshaushalts seinerzeit von der damaligen PDS mit eingeleitet wurde. Im Augenblick ist die Einnahmesituation des Landes gut. Natürlich sollen Rücklagen gebildet und wenn möglich Altschulden abgebaut werden. Aber ein Teil der Mehreinnahmen muss in die Zukunft investiert werden. Auch das gehört zu einer verantwortungsvollen Finanzpolitik.

Sie selbst standen in der Koalition bis 2006 für eine aktive Arbeitsmarktpolitik; Rot-Schwarz hat sich dagegen auf den sogenannten ersten Arbeitsmarkt konzentriert und die Arbeitsförderung durch das Land zurückgefahren. Sehen Sie sich im Nachhinein bestätigt?
Es geht mir absolut nicht ums Rechthaben, aber tatsächlich ist genau das eingetreten, was ich befürchtet habe: Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich massiv verfestigt. Man kann nicht einseitig auf den Markt bauen und freie Stellen oder den Fachkräftemangel gegen die Arbeitslosen aufrechnen, das hat sich gezeigt. Die Langzeitarbeitslosen müssen und können in sinnvolle, sozialversicherte Beschäftigung gebracht und auch an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Tut man das nicht, bleiben sie im Alter auf die Grundsicherung angewiesen. Zudem schaffen die Kürzungsorgien der Bundesagentur bei »Ein-Euro-Jobs« und ähnlichen Maßnahmen einen echten Bedarf an solchen Programmen. Schon jetzt bleibt viel gesellschaftlich notwendige Arbeit liegen. Das Land muss hier gegensteuern, mit der LINKEN wird es wieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik in MV geben. Ansonsten sage ich: Es gibt keine Arbeit erster und zweiter Klasse. Wer so denkt, hält letztlich auch einen guten Teil der 100 000 registrierten Arbeitslosen im Land für zweitklassige Menschen.
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