Eiserne Regeln und sanfte Ratschläge
LINKE will nach Rostock zur Politik zurückkehren
Gegen Ende der Klausur kommt der Streit doch noch mal zur Sprache, nachdem seine Erwähnung zwei Tage lang tabu war. Da erhebt Ulrich Maurer die sonore Stimme zum Bekenntnis: Er wolle seiner »Erleichterung Ausdruck verleihen«. Das ist schon eine Art Gefühlsausbruch für den eher introvertierten Fraktionsvize und Parteibildungsbeauftragten im Bundesvorstand. Anlass seiner Erleichterung ist die an diesem Sonnabendvormittag sich dem Ende neigende Klausur der Bundestagsfraktion. Kein Streit, keine Vorwürfe, kein eigener Anlass für negative Schlagzeilen mithin.
Das Treffen in Rostock hat eine arbeitsame Fraktion, Lust an sachkundiger Debatte und so etwas wie ein gemeinsames Erfolgserlebnis zutage gefördert. Das gilt schon als bemerkenswert nach den letzten Monaten. Maurer selbst hatte noch kurz vor der Klausur Nerven gezeigt und in einem Interview anonym »Leute« gegeißelt, »die unter schweren narzisstischen Störungen leiden«. Worauf sich der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow über Maurers »dumpfe Drohungen in irgendeine, nicht näher genannte Richtung« beschwerte. Das heize den Streit nur an. Darüber, dass sich die unter schwerer Kritik stehenden Bundesvorsitzenden der Partei angegriffen fühlen könnten, war der zweite Teil des Satzes von Maurer im »Stern«-Interview in den Hintergrund geraten. Die von ihm Kritisierten seien dabei, etwas zu verspielen, wofür »wir mit Lafontaine schwer gearbeitet und gekämpft haben«.
Um nichts weniger geht es inzwischen für die LINKE. Oskar Lafontaine bekennt, er empfinde Sorge um das »große Projekt, das wir begonnen haben«. Der frühere Vorsitzende und jetzige Fraktionschef an der Saar begann seine Ausführungen zum Thema Finanzkrise am Sonnabend mit der Bemerkung, eigentlich habe er »das eine oder andere« zum internen Zustand der Partei sagen wollen. Nun aber, da die Klausur öffentlich sei, habe er diese Bemerkungen gestrichen. Denn, und dann formulierte Lafontaine wenigstens die Kurzform seiner Botschaft an die zerstrittene Partei: Immer habe er eine eiserne Regel befolgt. Kritik an Vorstandsmitgliedern werde im persönlichen Gespräch vorgebracht, interne Konflikte der Partei werden in geschlossener Sitzung ausgetragen. In der Öffentlichkeit, in den Medien, hat das nichts zu suchen.
Es ist eine sanfte Form der Zurechtweisung; er selbst beherrscht inzwischen die Fähigkeit, stumm an Mikrofonen »vorbeizuschreiten«, wie Lafontaine mit hintergründigem Lächeln mitteilt. Der einstige Vorsitzende verzichtet auch auf einen deutlicheren Kommentar etwa zur Kritik an seinen beiden Amtsnachfolgern Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, die inzwischen alle Grenzen des Anstands überschritten hat, wie Fraktionschef Gregor Gysi später auf einer Pressekonferenz sagen wird. Konfrontiert mit öffentlich kolportierten Bezeichnungen wie »geistige Flachzangen«, ist er deutlich empört. »Die beiden haben meine volle Solidarität!«
Lötzsch und Ernst stehen wegen des öffentlichen Bildes der Partei und ihrem Anteil daran zunehmend in der Kritik. In den Tagen zuvor war Gysi mit den Worten zitiert worden, er unterstütze den Vorschlag Ernsts, die Parteimitglieder in die Entscheidung über die nächste Parteiführung einzubeziehen. Er rücke von Lötzsch und Ernst ab, war die Folgerung in Zeitungskommentaren.
Nach zwei Tagen in Rostock hört man von allen Seiten, endlich sei man wieder zur Politik zurückgekehrt. Die Inhalte der LINKEN stünden nun wieder im Vordergrund. Auf die »eisernen Regeln« von Lafontaine wird nicht weiter eingegangen. Die Abgeordneten widerstehen von sich aus der Versuchung der Mikrofone. Durch die Bank vermeiden sie es, den Streit der letzten Wochen und Monate hier in Rostock fortzusetzen. Eine Einsicht scheint die Abgeordneten zu lenken, diesmal auf Sticheln, geraunte Kommentare und empörtes Kopfschütteln zu verzichten, wenn die Gegenseite zu Wort kommt. Lafontaine hat diese Einsicht in den harmlos klingenden Satz gekleidet: Parteien, die nicht geschlossen auftreten, haben in der Regel auch keine Wahlerfolge. Eine übergreifend beflügelnde Erkenntnis.
Selbst Erfolge in Landtagswahlen gönnt mancher in der Partei der missgünstig beäugten »Gegenseite« zuweilen nicht, weil dies angeblich heilsames Nachdenken über die eigenen Fehler auslöst. Unter den Fraktionären in Rostock wenigstens scheint Wahlerfolg der Partei immerhin ein entscheidendes Ziel zu sein. Den braucht man, um seinen Botschaften Gehör zu verschaffen, formuliert Lafontaine. Dieser Botschaften wegen sei er nach Rostock gekommen, und er räumt damit letzte Spekulationen aus, er könnte einen Putschplan im Gepäck haben, um die internen Querelen zu beenden.
In nur einer Woche wählt Mecklenburg-Vorpommern seinen neuen Landtag, drei Wochen danach folgt Berlin. Es geht um den Endspurt im Wahlkampf, die Parteiprominenz rückt schon während der Klausur am Freitag, aber auch nach ihrem Ende am Sonnabend aus, um in Neubrandenburg und Stralsund, Greifswald und Wismar für ihre Positionen zu werben.
Steffen Bockhahn, Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern und auf Seiten der sogenannten Reformer einer der Protagonisten der internen Querelen, verlässt wegen des nächsten Wahlkampftermins kurz vor Schluss die Klausur. Im Davoneilen zeigt er sich »glücklich« über den offenbar gemeinsamen Entschluss aller Seiten, »dass in den nächsten drei Wochen Selbstbefassung nicht das Wichtigste ist«. Für manch einen mag die Hoffnung sogar noch ein wenig weiter reichen.
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